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Uni will Antisemitismusforscher loswerden

Causa Salzborn Der Göttinger Professor gilt als renommierter Mahner gegen rechten Terror. Die Hochschule will ihn nicht weiterbeschäftigen – die von Salzborn konzipierte NSU-Dokumentationsstelle hingegen soll kommen

Mahner gegen rechtsextremen Terror: Der Gedenkort für ein Opfer des NSU in Rostock bleibt. Der Göttinger Antisemitismusforscher Salzborn muss gehen Foto: Regina Schmeken/SZ Photo/laif

Von André Zuschlag

Noch im vergangenen Dezember wurde Samuel Salzborn vom Stiftungsrat der Göttinger Georg-August-Universität ausgezeichnet – für seine Forschungsleistungen im Bereich „Demokratie, Rechtsextremismus und Kritik am Antisemitismus“. Sechs Monate später will die Uni ihren gefeierten Wissenschaftler vom Hof jagen. Seinen im Frühjahr 2017 auslaufenden Vertrag will das Unipräsidium nicht verlängern. Diese Entscheidung stößt– auch international – auf Unverständnis.

Salzborn ist Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaft an Göttinger Institut für Politikwissenschaft. Die Forschungsschwerpunkte des erst 38-Jährigen liegen im Bereich Rechtsextremismus und Antisemitismus. Neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen schaltet sich Salzborn regelmäßig über Zeitungen und Magazine oder im Fernsehen in öffentliche Debatten ein. So warf der dem Publizisten und Verleger Jakob Augstein wegen dessen Äußerungen zur israelischen Außenpolitik Antisemitismus vor. Die AfD kritisiert er für ihre „völkischen und rassistischen Parolen“. Im Zuge der NSU-Morde analysierte er das Versagen des Verfassungsschutzes. Ist Salzborn der Universität zu politisch? Auf die Frage gibt die Hochschule keine Antwort.

Seine Fakultät hat jedenfalls nichts an ihrem Professor auszusetzen. Salzborn, beteuert der studentische Fachschaftsrat, sei sehr beliebt. Die AStA-Vorsitzende Vivien Bohm lobt: „Er bindet die Studierenden in sein Forschungsfeld erfolgreich ein.“ Auch der Fakultätsrat, bestehend aus Studierenden, Lehrpersonen und Angestellten, habe Ende des vorigen Jahres „einstimmig für den Verbleib Salzborns gestimmt“. Dagegen legte das Unipräsidium sein Veto ein.

Die Gründe für diese Entscheidungen sind unklar. Das Präsidium äußert sich nicht zu dazu. Gegenüber der taz sagt Unisprecher Romas Bielke, dass „Personalentscheidungen der Universität grundsätzlich nicht kommentiert“ würden. Salzborn bestätigt zwar die baldige Beendigung seiner Tätigkeit als Professor in Göttingen, möchte sich aber ansonsten nicht weiter dazu äußern.

Der Fachschaftsrat befürchtet nun massive Probleme in der Abdeckung der Lehre, weil Salzborn für den in Deutschland einzigartigen Studiengang Sozialwissenschaft – halb Politikwissenschaft, halb Soziologie – die „tragende Säule“ sei. Salzborns Stelle, fürchtet er, könnte ersatzlos gestrichen werden. Zumindest an dieser Stelle tritt Unisprecher Bielke den Spekulationen entgegen: „Die Professorenstelle bleibt erhalten.“

Nur, warum diese nicht weiterhin von dem profilierten Salzborn besetzt werden soll, bleibt ein Rätsel. Einem Protestbrief des Fachschaftsrats an das Präsidium haben sich Dutzende politische Verbände und Organisationen auch aus dem Ausland angeschlossen. So kritisieren etwa die Amadeu-Antonio-Stiftung und das Jüdische Forum die Entscheidung der Unileitung.

Auch mehr als 300 Einzelpersonen haben den Brief mit unterzeichnet. Darunter finden sich vor allem WissenschaftlerInnen, die ebenfalls zu den Themen Rechtsextremismus und Antisemitismus forschen. So betont Dr. Günther Jikeli von der US-amerikanischen Indiana University, Salzborn habe Pionierarbeit geleistet und sei „einer der ganz wenigen Professoren weltweit, die sich dezidiert mit aktuellem Antisemitismus beschäftigen“. Auch der Grünen-Politiker Jürgen Trittin kann die Entscheidung der Unileitung nicht nachvollziehen. Der ehemalige Bundesminister sitzt für den Wahlkreis Göttingen im Bundestag. Von 1975 bis 1981 studierte er an derGeorg-August-Universität. Er fordert das Unipräsidium auf, die Entscheidung gegen Salzborn zurückzunehmen. „Mit tiefem Bestürzen und Unverständnis“ habe er von der Entscheidung gegen die Vertragsverlängerung Salzborns Kenntnis genommen. „Ich möchte Sie erneut eindringlich bitten, Ihre Entscheidung diesbezüglich zu überdenken“, schreibt Trittin der Unipräsidentin Ulrike Beisiegel.

Der Fachschaftsrat beklagt neben dem drohenden Verlust der Studienqualität die Außenwirkung der Präsidiumsentscheidung: „In Zeiten von brennenden Flüchtlingsunterkünften und dem NSU-Komplex halten wir die Entscheidung für ein verheerendes politisches Signal.“ Denn alle fachlichen Gründe sprächen für eine Vertragsverlängerung. Der Fachschaftsrat geht deshalb „von einer politischen Motivation“ der Unispitze aus.

Der Rauswurf Salzborns verzögert überdies ein wissenschaftliches Großprojekt der niedersächsischen Landesregierung. Sie hat 800.000 Euro für die Einrichtung einer universitären Dokumentationsstelle „Demokratie- und Menschenfeindlichkeit“ bereitgestellt. Die Aufgabe dieser Dokumentationsstelle soll sein, die Arbeit des Verfassungsschutzes in den Blick zu nehmen und Transparenz zu schaffen. Die rot-grüne Landesregierung will damit Lehren aus den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ziehen, bei dem der Verfassungsschutz versagte.

„In Zeiten von brennenden Flüchtlingsheimen und NSU ein verheerendes Signal“

Fachschaftsrat Uni Göttingen

Um diese Dokumentationsstelle bemüht sich die Göttinger Universität. Jedoch war es Salzborn, der maßgeblich das Konzept dafür, in Abstimmung mit den zuständigen Behörden in Hannover, erarbeitet hat. Salzborn war auch als deren Leiter vorgesehen. Dies hat sich nun erledigt. Laut Unisprecher Roman Bielke habe der Rauswurf Salzborns zwar „keinerlei Einfluss auf die Errichtung der Dokumentationsstelle“.

Doch auch im Landtag wundert man sich über die Entscheidung der Unileitung, sagen Abgeordnete von Grünen und SPD der taz. Gegen die Entscheidung kann das Parlament aber ohnehin nichts unternehmen. Personalentscheidungen sind Sache der Hochschulen. Egal, ob sie staatliche Universitäten oder – wie im Göttinger Fall – in Hand einer privaten Stiftung sind.

Der Betrieb der geplanten Dokumentationsstelle soll stattdessen von der Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) in Göttingen geleitet werden – ohne Salzborn. Ein fertiges Konzept hat die Universität noch nicht vorgelegt. Mit dem Wegfall Salzborns als Leiter wird sich die Errichtung der Dokumentationsstelle jedenfalls verzögern.

Der Fachschaftsrat hofft derweil noch, die Universität umzustimmen. Vergangene Woche berief er deshalb eine Vollversammlung der sozialwissenschaftlichen Fakultät ein. Eine Unterschriftensammlung der Studierenden soll diese Woche der Unileitung übergeben werden.

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