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heute in hamburg„Als Abtrünniger ermordet“

Abschied Christlich-muslimische Trauerfeier für getöteten IS-Anhänger in der St. Pauli Kirche

Marco Haase

45, ist für die Öffentlichkeitsarbeit des Hamburger Verfassungsschutzes zuständig.

taz: Herr Haase, warum hat der Verfassungsschutz eine Audiobotschaft vom getöteten IS-Anhänger „Bilal“ verbreitet?

Marco Haase: Wir wollen junge Menschen informieren und warnen, die möglicherweise mit dem Gedanken spielen, Islamisten und Salafisten zu unterstützen oder sogar auszureisen. Durch den Beitrag eines Betroffenen hören sie aus erster Hand, was sie dort im Dschihad-Gebiet wirklich erwartet. Außerdem wollen wir eine Sensibilisierung der Familien und des Umfeldes junger Leute erreichen und appellieren, wenn jemand Kontakt zur salafistischen Szenen hat, es zu melden.

Des toten „Bilal“ wird heute mit einer Trauerfeier in der St. Pauli Kirche gedacht. In seiner Botschaft warnte er andere davor, es ihm gleichzutun. Haben Sie ihn deshalb ausgewählt?

„Bilal“ wollte selbst darüber aufklären, dass die Propaganda des „Islamischen Staates“ nicht der Realität entspricht. Daher hat er seine Botschaft nach Hause geschickt, damit sie sich verbreitet und über die Täuschungen und Trugbilder des „IS“ aufklärt. Und klar: Der Verfassungsschutz hat auch eine Informationsfunktion gegenüber der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen. Insofern deckt sich seine Absicht mit unserem gesetzlichen Auftrag.

Wurde „Bilal“ nach dem Verschicken der Botschaft ermordet?

Die genauen Umstände des Todes sind unklar. Wir wissen, dass er im ersten Halbjahr 2015 nach Syrien und in den Irak ausgereist und vermutlich im Sommer ums Leben gekommen ist. In der salafistischen Szene kursieren Gerüchte, er könnte als Abtrünniger ermordet worden sein.

Laut Ihrer Behörde gibt es 460 Salafisten in Hamburg. Wie erklären Sie sich die Faszination dieser betont strengen Islam-Spielarten?

Der Salafismus ist eine der dynamischsten extremistischen Bestrebungen in ganz Europa. Sehr oft zielen extremistische Gruppierungen auf junge Leute ab, in deren Biografie es Brüche gibt. Das können Probleme in der Schule, am Arbeitsplatz, zu Hause oder auch Diskriminierungserlebnisse sein. Extremisten geben dann jungen Menschen einfache Antworten auf komplizierte Fragen des Lebens.

Führt der Weg zum IS stets über den Salafismus?

Es sind vor allem Menschen aus der salafistisch-dschihadistischen Szene, die Richtung Syrien oder Nordirak ausgereist sind, um dort den Dschihad und die Terrormiliz „IS“ zu unterstützen.

Wie viele Menschen sind aus Hamburg ausgereist?

Seit 2012 rund 65 vorwiegend jüngere Personen.

Interview: LKA

Trauerfeier für den getöteten IS-Anhänger „Bilal“: 15 Uhr, St. Pauli Kirche

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