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Jubeln? Das lässt sich nicht mehr schönreden

Essay Die österreichische taz-Redakteurin Saskia Hödl läuft durch das sonnenbeschienene Wien –und graust sich darüber, was diese Wahltage über ihre Heimat verraten

Aus Wien Saskia Hödl

Nach sieben Wochen Wahlkampf, zwei Wahlgängen und zwei „Tagen der großen Entscheidung“ hat Österreich am Montag, dem dritten „Tag der großen Entscheidung“, einen Wahlkater.

Im Fernsehen spricht man nach der Stichwahl von einem „Wahlthriller“ und dem „längsten Wahlsonntag aller Zeiten“. Ich habe mich aber eher gefühlt, als hätte meine Lieblingsfußballmannschaft kurz vor dem Finale entschieden, unter die Synchronschwimmer zu gehen. Ich war perplex und fassungslos über den Stimmverlust an die Rechten.

Es war einfach zu viel. In den Wochen zuvor wurden im ganzen Land Großeltern bekehrt, Freunde in die Wüste geschickt und um die Ungültigwähler aus der ersten Runde des Präsidentschaftswahlkampfes am 24. April gebuhlt. Im realen Leben und in den sozialen Medien wütete ein zermürbender Lagerwahlkampf.

Da hat es kurz, aber laut in der Seele geschnalzt

Am Sonntagabend, nach mehreren Stunden des Abwartens und Mitfieberns mit rund Tausend Unterstützern auf dem Wahlfest der Grünen in Wien, mit strapazierten Mobilfunknetzen und Menschen, die letztendlich ein Ergebnis bejubeln, das einem die Zehennägel aufrollen lässt, wollte ich mich schlicht nur noch verstecken.

Schließlich war klar, dass das Ergebnis erst Montagabend kommen würde; dass das ganze Land noch einen weiteren Tag darauf warten musste, endlich zu erfahren, ob es jetzt denn, verdammt noch einmal, einen ehemaligen Grünen und Volkswirtschaftsprofessor oder einen Rechtspopulisten aus der FPÖ als Besetzung für das höchste Amt in der geschichtsschwangeren Hofburg auserkoren hat.

Noch während ich diese Information für mich verarbeitete, hat es irgendwo in meiner Seele kurz, aber laut geschnalzt, als wäre eine Sehne gerissen. Etwas später, auf dem Heimweg, fragte ich mich, ob meine Verstimmung nun Politikverdrossenheit oder Nationalismus sei. Ich musste mir irgendwo Patriotismus eingefangen haben.

Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann stellte unterdessen auf Twitter die Frage, ob Österreich nun halb voll oder halb leer sei und die österreichische Twitteria antwortete beinahe geschlossen, man werde sich nun erst einmal gepflegt betrinken.

Ich musterte die sonnengeküssten Frauen und Männer mit ihren Skateboards und Kinderwagen in der U-Bahn, und mir wurde klar, dass die Hälfte dieser Menschen einen Rechten gewählt hat.

Ja, ich weiß, es waren natürlich nicht diese Menschen. Und es waren nicht alle Österreicher: Von 8,7 Millionen Einwohnern waren nur 6,3 Millionen wahlberechtigt, die Wahlbeteiligung lag wohl irgendwo zwischen 60 und 70 Prozent. Und ja, Wien ist sowieso immer weniger rechts.

Aber genau das ist ja das Problem: Es geht nur noch darum, wer weniger rechts ist. Österreich kann sich dieses Wahlergebnis diesmal leider nicht schönreden. Denn auch wenn der Stimmenanteil für Van der Bellen im eigenen Wahlbezirk hoch war, ist es anderswo genau umgekehrt, sonst ergäbe sich ja nicht diese Pattsituation, sonst hätte man nicht so einen Wahlkater.

In fünf Gemeinden gab es übrigens wohl tatsächlich eine exakte 50-zu-50-Situation. Das knappe Ergebnis bedeutet seit Sonntag für die ganze Welt, dass man sich in Österreich offenbar irgendwo auf die Straße setzen kann, einen Stein werfen und mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit einen Rechten treffen kann.

Jetzt ist das, was man schon befürchtet hatte, offiziell. Und natürlich sind nicht alle Wähler von Norbert Hofer automatisch Stiernackennazis, wie sie auf Fahndungslisten stehen. Aber mal ehrlich, wer einen Rechtspopulisten wählt, der mehrmals gesagt hat, dass er gegen den EU-Beitritt stimmen würde, jemanden, der die Bevölkerung „gegen die neue Völkerwanderung verteidigen“ will und im Parlament gemeinsam mit seiner Fraktion mit einer Kornblume im Knopfloch auftaucht, die als ein Ersatzzeichen für verbotene Symbole und Zeichen der NSDAP gilt, nein, der ist vielleicht nicht automatisch ein Nazi. Aber er ist schon mal eindeutig nicht links und hat auch mit der Mitte nicht mehr viel zu tun.

Ich musste mir irgendwo Patriotismus eingefangen haben

Rund 50 Prozent der Wahlberechtigten haben sich geweigert, einen ehemaligen Grünen zu wählen, einen Hochschulprofessor mit wirtschaftlichem Know-how, einen Vertreter, der die Republik international repräsentieren könnte. Laut Wählermotivbefragung, weil Norbert Hofer die Sorgen der Menschen verstehe und sympathisch sei.

Das Land ist polarisiert – und auch wenn mir gleich alle mit dem Phrasenschwein hinterherlaufen werden, es ist gespalten: Frauen gegen Männer, alt gegen jung, Stadt gegen Land, links gegen rechts und international gegen national.

Nun geht der FPÖ-Chef Strache als Underdog in die Nationalratswahl

Diese Gräben zu überwinden wird nun die Aufgabe aller Österreicher und ihrer neuen Regierung sein. Vonseiten der FPÖ ist schon seit Sonntag präventiv von falscher Stimmenauszählung die Rede.

Kein unkluger Schachzug, denn FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geht so als verhinderter Underdog in die Nationalratswahl 2018. Er will Bundeskanzler werden. Das knappe Wahlergebnis, das Van der Bellen schließlich gerade noch so zum österreichischen Präsidenten macht, hat Strache nur weiter bestätigt.

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