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Warum singen sie denn?

OPERNPREMIERE Die Komische Oper hat HK Grubers Oper „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nach dem Theaterstück von Ödön von Horváth neu inszeniert. Man möchte dessen Text aber lieber gesprochen hören

von Niklaus Hablützel

Michal Zadara, der polnische Regisseur, holt ein 1931 in Berlin uraufgeführtes Stück in diese Stadt zurück, dessen Warnung vor dem Faschismus der Kleinbürger so notwendig wie nur möglich ist. Am Ende der Premiere am Sonntag in der Komischen Oper war noch immer nicht entschieden, ob einer aus Ödon von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ Präsident der heutigen Republik Österreich wird: ein gemütvoller Schwätzer, der mit seltsam verdrehten, aufgeblasenen Worten nur Hass und Grausamkeit verbreitet.

Auf der Bühne fahren sie mit ihren Autos auf, einem nagelneuen Golf-Cabriolet, einem alten Mercedes und – natürlich – einem Opel Manta. Sie achten auf Standesunterschiede und zeigen, was sie haben, gerade hier am unteren Ende der sozialen Skala, wo niemand viel hat. Jetzt wollen sie baden gehen am Donaustrand – oder auch an der Spree, denn ihre Statusautos haben Berliner Kennzeichen.

Jens Larsen, der Zauberbass der Komischen Oper, ist der voll tätowierte Altrocker, der schon mal klarstellt, was hier gespielt wird. Seine Tochter Marianne heiratet den braven Oskar aus dem Metzgerladen. „Und das feiern wir jetzt.“

Aber dann schieben die Bühnenarbeiter Tom Erik Lie in seinem Manta herein. Schon ist es um die Braut geschehen. Cornelia Zink, die Marianne, will den Tenor Adrian Strooper nicht mehr haben, den Oskar vom Metzgerladen. Lie, der fesche Alfred, gefällt ihr viel besser, er kann „so schöne Sachen“ aus ihr „herausziehen“.

So erzählt Zadara das Stück sehr nah an Horváth und dennoch plausibel übersetzt in die Gegenwart. Wir bekommen sie alle wieder zu sehen, die trostlosen Loser von 1931. Valerie, die damals eine „Trafik“ besaß, hat jetzt eine Tankstelle. Wieder müssen die Bühnenarbeiter ran, um sie auf die Bühne herein- und dann auch wieder herauszuschieben, denn Zadara möchte uns nie vergessen lassen, dass wir in einem Brecht’schen Theater sitzen.

Möglicherweise wüssten wir das auch ohne den Einsatz von Bühnenarbeitern. Horváths Stück ist gewiss nichts für romantische Gemüter. Trotzdem dürfen wir die mit moderner Videotechnik erzeugte Illusion eines Autos bewundern, das einsam durch die nächtlichen Straßen der Großstadt fährt. Cornelia Zink und Tom Erik Lie sitzen darin und versuchen, über die Liebe zu reden. Es ging alles viel zu schnell. Zadaras Bühnenarbeiter haben den Manta mit den beiden hübsch wackeln lassen, als sie es taten, jetzt ist das Kind in der Wachau bei der Großmutter. Sie wird es sterben lassen, denn was soll schon ein Hallodri wie Alfred mit einem Kind?

Nein, es gibt nur einen guten Menschen in dieser Unterwelt der Lügner und Heuchler. Das ist Marianne, die es sich nicht hat wegmachen lassen. Dafür wird sie im Beichtmobil der fahrbaren Katholiken von heute beschimpft, und wir dürfen ausnahmsweise mitleiden.

Was Gruber zu sagen hat, klingt schon in Ödön von Horvaths Sprache so

Cornelia Zink wird uns kurz danach sogar ihre nackten Brüste zeigen, weil sie jetzt in der Nachtbar tanzen muss vor dem Rocker und seiner Gang. Alles ist zu sehen, und immer wieder kommt es zu starken Szenen eines bunten Erzähltheaters. Nur eines ist auch nach zweieinhalb Stunden immer noch nicht zu erkennen oder zu verstehen: Warum singen sie das alles?

HK Gruber, 1943 in Wien geboren, blickt auf eine lange Erfahrung als Orchestermusiker, Komponist, Dirigent und Chansonsänger zurück. Er kann sehr viel, und es gelingt ihm, in seinen von Kurt Weil und Igor Strawinski inspirierten Stil Horváths Sprache zu imitieren. All die hochtrabend förmlichen Sentenzen, in denen sich diese bösartigen kleinen Leute spreizen und verheddern, klingen auch im massiv mit Schlagwerk und Blech besetzten Orchester und den Gesangspartien mit. Walzer und Märsche werden verstolpert und landen in krachenden Dissonanzen.

Es ist alles sehr laut und auf verrückte Weise falsch gespielt, mit wenigen lyrischen Ausnahmen, die dann auch mal an Puccini denken lassen. Der Dirigent Henrik Vestmann hat diese für die Bregenzer Festspiele 2014 geschriebene Partitur sehr gut einstudiert, aber eben deswegen ist zu hören, dass sie über das Theaterstück hinaus nichts beiträgt. Was Gruber zu sagen hat, klingt schon in Horváths Sprache so, die schon immer ihrer Musikalität wegen bewundert worden ist.

Die Textverständlichkeit der Sänger und Sängerinnen ist ausnehmend gut. Trotzdem möchte man ihre verqueren Sätze lieber gesprochen hören. Die Mühen des Singens wirken unfreiwillig komisch und behindern wie ein falsches Echo ihre mögliche Wirkung. Schade, aber es war ja gut gemeint.

Nächste Vorstellungen: 29. 5.; 11., 17. 6.; 7. 7. 2016

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