: Kinoder Kritik
Film Das Xposed International Queer Film Festival hinterfragt Normative. Ganz gleich, aus welcher Richtung sie kommen
von Carolin Weidner
Gerade erst konnte im HAU im Rahmen des Festivals „From Inside to Way out – Perspectives from Contemporary Pakistan“ einem Panel beigewohnt werden, das sich u. a. mit der Frage nach Begriffskonstruktionen befasste. Solchen, die verschiedenen Identitätszuschreibungen die passende Fassung liefern sollen. Begriffe wie gay, queer, cis- und transgender, die zum Teil vereinfachen, aber auch verkomplizieren. Die vor allem theoretischer Natur sind und nur bedingt einfangen können, wie ein Individuum sich selbst erlebt. René Hornstein etwa, Vorstandsmitglied des Bundesverband Trans*, sprach sich gegen Fremdkategorisierungen und für eine autonome Selbstdefinition aus. Und wie steht es um das Kino? Michael Stütz, der gemeinsam mit Bartholomew Sammut das heute Abend eröffnende Xposed International Queer Film Festival leitet, sagt: „Queer Cinema“, das müsse ein „Kino der Kritik“ sein. Eines, das Normative befragt und angreift, ganz gleich, aus welcher Richtung sie kämen.
Es ist ein Anspruch, dem somit auch Xposed untersteht. Und er macht das Festival zu einer bewegten Angelegenheit. Denn in dem Maße, indem sich Diskurs und Sprache entwickeln, tut es auch der Film. Beinahe sechzig Kurz- und Langfilme sind zwischen dem 19. und 22. Mai im Kino Moviemento zu sehen. Außerdem gibt es den eigens installierten „The Ladies Room“, der von der Berlin Feminist Film Week bespielt wird, sowie die Puppen -Performance „Silver Sex“ der Gruppe Lovefuckers in den Sophiensælen.
Eröffnet wird das Festival mit einem Langfilm von Natasha Mendonca aus Indien, „Ajeeb Aashiq / Strange Love“. Angesiedelt in der Megastadt Mumbai – beinahe zwölf Millionen Menschen leben in der vormals als Bombay bekannten Stadt auf der Insel Salsette – und im Stile einer Doku-Fiktion gedreht, zeigt „Ajeeb Aashiq“ das Leben von Transmann Khush, der auf seiner Rikscha einige interessante Gäste chauffiert. Zum Beispiel Sängerin Suman, Migrantin und Slampoetin, die sich in einer ungleich glamouröseren Version der Stadt bewegt als Khush. Doch das ist nur ein Faden, der sich durch Mendoncas Film zieht: ähnlich einer Fahrt durch die krachige Metropole, bleibt Mendoncas Aufmerksamkeit mal hier, mal dort haften. Manchmal an mit Street Art bemalten Wänden, dann verweilt „Ajeeb Aashiq“ einige sehr sinnliche Minuten mit einem (heterosexuellen) Paar. Den Gedanken von LGBT-Aktivistin Leslie Feinberg folgend, nach denen im Grunde jeder in das Transgender-Spektrum fällt, ist Mendoncas Film offen und fluid. Ein berauschendes, belohnendes Kinoerlebnis.
Ebenso wie Joaquim Pintos „E agora? Lembra-me / What Now? Remind Me“ von 2013, in welchem Pinto in tagebuchartiger Form seine eigene HIV-Infektion thematisiert. Pintos „Rabo de Peixe“, eine filmisch bearbeitete Studie eines Fischerdorfs auf den Azoren, die der portugiesische Regisseur zwischen 1999 und 2001 selbst unternahm, war übrigens im Forum der Berlinale 2015 zu sehen. Eine ästhetisch betörende Dokumentation mit großem Wirklichkeitskontakt. Fühlte es sich hier an, als würden einem die Wellen direkt ins Gesicht klatschen, ist es in „E agora?“ Pintos schonungslos offener Umgang mit dem eigenen Befinden, das häufig konfrontativ wirkt und über eine Dauer von 164 Minuten durchaus Kraft abverlangt. „E agora?“ steht auch in Dialog mit dem für denselben Tag angekündigten Talk „Representation of HIV/Aids in Film“.
Eine Hommage im Gewand einer Werkschau wird derweil dem Berliner Filmemacher Michael Brynntrup unter dem Titel „The Michael Brynntrup Experience“ zuteil: insgesamt zehn seiner Filme präsentiert Xposed binnen zwei Tagen – die ersten beiden, „Narziss und Echo“ (1989) sowie „Liebe, Eifersucht und Rache“ (1991), bereits während der Eröffnungs(party)nacht im Südblock. Brynntrups Filme gelten, nebenbei bemerkt, als „nicht-kategorisierbar“.
Xposed International Queer Film Festival: Kino Moviemento, Kottbusser Damm 22, 19.–22.5., www.xposedfilmfestival.com
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