Humanismus auf dem Oberdeck

Flüchtlinge Manchmal schwarz-weiß, meistens lustvoll: Regisseurin und Intendantin Karin Beier eröffnet mit „Schiff der Träume“ das diesjährige Theatertreffen in Berlin

Lina Beckmann als Servicekraft auf Karin Beiers „Schiff der Träume“ Foto: Matthias Horn

von Katrin Bettina Müller

Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg gehört zu den Theatern, die das Thema der Flüchtlinge auf ihre Agenda gesetzt haben. Nicht nur in den Inszenierungen, sondern auch durch konkrete Hilfe, Angebot von Not­übernachtungen und Schutz von Flüchtlingsgruppen vor rechten Demonstranten. Karin Beier, Intendantin und Regisseurin, weist dabei stets darauf, dass dies das Engagement von Mitarbeitern ist, keine Aktion des Theaters als Institution. Als Regisseurin aber hat sie sich genau dies als Thema vorgenommen, in ihrer Inszenierung „Schiff der Träume – ein europäisches Requiem nach Federico Fellini“. Wie weit reicht unser Engagement für die Flüchtlinge, was erwarten wir von ihnen, wenn wir von Diversität als Utopie reden – und was sagt das über uns aus? Fragen, die dieses Stück stellt.

Schon vergangenes Jahr eröffnete das Theatertreffen mit einer großartigen Abrechnung mit der europäischen Abschottung: vom Thalia-Theater Hamburg kamen die „Den Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek und Nicolas Stemann, gespielt von Schauspielern und Flüchtlingen. Karin Beiers „Schiff der Träume“ erinnert manchmal an jenes Stück, weil wieder zwei unterschiedliche Darstellergruppen aufeinandertreffen, deutsche Schauspieler aus dem Ensemble und eine Gruppe nicht minder starke Performer aus Haiti, Ruanda, Burkina Faso und der Elfenbeinküste. Sie spielen die afrikanischen Flüchtlinge, die von einem Schiff aufgenommen werden, das voll besetzt ist mit exzentrischen Musikern, unterwegs zu einem Trauerritual für ihren verstorbenen Dirigenten. Weil die Rollennamen der Schwarzen aber mit ihren Künstlernamen identisch sind, werden ihre kurzen biografischen Fluchtgeschichten manchmal für bare Münze genommen. Und weil sie in einem völlig anderen Rhythmus singen und tanzen, wird ihre Energie als der Einbruch des wahren Lebens in die müde Kunst wahrgenommen. Als ob sie pures Dasein wären und nicht inszeniert.

Aber genau das ist der Trick dieser Inszenierung. Sie lässt in den weißen und schwarzen Schauspielern zwei Kunstmilieus aufeinanderprallen, die dann als jeweils repräsentativ für Europa und Afrika, für die Konvention und das Andere stehen. Das hat zwar großen Witz, ahmt aber genau die Zuschreibungen nach, aus deren Korsett man ja eigentlich heraus will. Ein dann doch sehr einfaches Schwarz-Weiß.

Amüsieren kann man sich zunächst allerdings famos, und vielleicht ist dieses Lustvolle, Spielerische ja auch die Hauptsache. Wie in den ersten neunzig Minuten über den Tod philosophiert wird und die Neue Musik als Blick in den Abgrund vorgeführt wird, treibt einem schnell Tränen des Lachens in die Augen. Wenn Josef Ostendorf indigniert das Spezialschlagzeug Schwimmflossen anlegen muss, wenn Charly Hübner als Triangelspieler erst in Wut über die Diktatur des toten Dirigenten ausbricht, ihn dann voll Reue beweint, dann sieht man eine großartige Komödie über die Widersprüche und die Künstler.

Doch das alles wird als trauriger Auswuchs des Individualismus markiert, der unweigerlich Schlaflosigkeit, Einsamkeit und Depression im Schlepptau hat, wenn die Afrikaner in der Mitte des Stücks an Bord kommen. Sie stellen sich vor als das Allheilmittel gegen die Trauer und die Einsamkeit der westlichen Welt, der Deutschen insbesondere. Michael Sengazi, ein junger Comedian aus Ruanda, hält einen schönen Vortrag über die aussterbende Art der Deutschen. Gotta Depri packt in seine fiktive Flüchtlingsbiografie alle Opferrollen, für die Europa sich schämen muss. Und nennt sich dabei doch stets einen ­„lucky man“, weil er das alles überlebt hat.

Wie weit reicht unser Engagement? Was erwarten wir von den Flüchtlingen, wenn wir von Diversität als Utopie reden?

Aber dann rauscht in der Begegnung der beiden Gruppen doch sehr schnell ein Ausprobieren von Annäherungen und Haltungen vorbei, von Ablehnung und Furcht, von Aktivismus und Solidarität, von verklärender Exotisierung und sexueller Dämonisierung, das vieles antippt und quick verrührt, aber wenig weiterdenkt.

Die wichtigste Rolle hat am Ende die stets unterschätzte Servicekraft Astrid Klein, von Lina Beckmann stotternd und störrisch gespielt, wie „Aarschtritt“ spricht sie ihren Namen aus. Je mehr sie sich müht, dem Hochglanzversprechen des Kreuzfahrtschiffs zu entsprechen, desto gemeiner wird sie von den Künstlern schikaniert und herumgejagt. Sie durchschaut sie aber und parodiert sie und weigert sich dann im zweiten Teil, die Schiffbrüchigen wieder ins Unterdeck zu vertreiben, wenn die weiße Gesellschaft von ersten Annäherungen genug hat. „Aarschtritt“ sagt ihr Klassenbewusstsein, dass hier viel Stuss geredet wird und der Humanismus letztlich auf das Sonnendeck beschränkt bleibt.

Lina Beckmann und Karin Beier haben dem Theatertreffen schon mehrfach Glanzlichter aufgesetzt, voll des Spotts auch darüber, was die Kunst retten und heilen soll, wo andere gesellschaftliche Kräfte versagen. Und sie schaffen es wieder, allem zum Trotz, was an der Inszenierung auch oberflächlich und widersprüchlich ist.