piwik no script img

Harte Schule

SPORTELITE An der Poelchau-Schule lernen zukünftige ProfisportlerInnen. Ist das nicht zu früh und zu viel Druck für Jugendliche? Schulleiter Matthias Rösner sieht das nicht so

Auch mal Pause beim Sport: Matthias Rösner, Schulleiter der Poelchau-Schule, plaudert mit Schülerinnen Foto: Sebastian Wells

von Anna Klöpper

Lustig bunt leuchten die neonfarbenen Trikots der jungen LäuferInnen im Sonnenlicht. Gelb und orange, grün und blau. Eine Gruppe Fußballschüler, uniform in Blau, klackert mit den Stollenschuhen vorbei auf dem Weg zum Trainingsplatz neben der Schule, die monochrome Fassade aus Sandsteinquadern und Beton wirft das Getrappel lauter zurück, als es ist. Punkt zehn Uhr zeigt die riesige messingfarbene Uhr an der Schulfassade, unter der sich die zwei Handvoll LäuferInnen versammelt haben.

Ein Donnerstagmorgen an der Poelchau-Schule im Olympiapark: Für einen Schulhof ist das Ausmaß disziplinierter Ruhe beeindruckend. Hier trainiert auch Herthas Nachwuchskader, wer hier die Aufnahmetests für das Schwimm- oder Laufteam schafft, für den ist Sport sicher auch Spaß – vor allem aber ist es: ein Job.

„Wer hierher will, dem muss klar sein, dass man den Sport leben muss, und zwar konsequent“, sagt Matthias Rösner. Der Schulleiter, ehemaliger Wasserballer, Schwimmerstatur, wirkt merkwürdig deplatziert in dem nüchternen Konferenzraum vor dem akkuraten Gedeck umgedrehter Kaffeetassen auf der Papierserviette. Den Trainer an der Seitenlinie mit der Stoppuhr um den Hals würde man dem 50-Jährigen hingegen sofort abnehmen. „Manche Eltern, die hier ihre Kinder anmelden wollen, suchen eine Schule, die ein bisschen sportbetont ist“, sagt Rösner. „Da haben sie eine falsche Vorstellung.“

An der Poelchau, wie die Schule von den SchülerInnen genannt wird, ist alles auf den Sport ausgerichtet: der Stundenplan, der in der Oberstufe auf drei statt zwei Jahre gestreckt ist, damit die SchülerInnen sowohl ihr Trainingspensum als auch das Abitur schaffen; die Wochenenden der Eltern, die den Nachwuchs zu den Meisterschaften kutschieren; die Freizeit der SchülerInnen, die vor allem eines ist: sehr knapp bemessen.

Mit Misstrauen beäugt

Es ist eine Welt, die einem fremd bleibt, wenn man nicht „aus dem System“ kommt, wie Rösner sagt. Und die deshalb von außen mit Misstrauen beäugt wird: Ist das nicht zu früh zu viel Druck für die Jugendlichen? Unter „Zugang zur Oberstufe“ ist bei der „Aufnahmeklasse Leichtathletik“ vermerkt: „Talente werden weiter gefördert, wenn sie … das Niveau einer Leistung der deutschen Spitze in ihrer Altersklasse nachweisen können.“ Ansonsten unterstütze man die Eltern gerne „beim Finden einer anderen Schule“. Das klingt erst mal hart. Ist es das auch für die Jugendlichen?

Miriam Dattke steht vor der Tribüne, von der aus man auf die Zielgerade der 400-Meter-Rundbahn für die Leichtathleten schaut. Die 17-Jährige ist unruhig, eigentlich hat ihre morgendliche Trainingseinheit schon begonnen: 90 Minuten auf dem Fahrradergometer stehen auf dem Programm, wegen einer Wadenverletzung kann sie derzeit nicht laufen. Vorsichtig läuft sie für den Fotografen dann doch ein paar federnde Schritte auf der roten Kunststoffbahn, trotz der Verletzung wirkt es leicht und mühelos.

Die Elftklässlerin ist in der Leichtathletikklasse, ihr Spezialgebiet ist die Langstrecke: 3.000 Meter sind das im Jugendbereich. Vergangenes Jahr hatte sie sich für die Jugendweltmeisterschaften über diese Strecke qualifiziert, das will sie dieses Jahr wieder schaffen. „Und dann will ich ins Finale laufen“, sagt sie.

Acht bis zehn „Einheiten“ trainiert Miriam Dattke dafür in der Woche: Krafttraining, Schnelligkeit, Dauerläufe. Sie ist von ihrem Elternhaus in Kladow ins Internat des Schul- und Leistungssportzentrums Berlin im Sportforum Hohenschönhausen gezogen, um jederzeit optimale Trainingsbedingungen zu haben – die Poelchau-Schule selbst hat kein angeschlossenes Internat. Am Wochenende arbeitet sie oft noch Stoff für ihre Leistungskurse Sport (der für alle Poelchau-SchülerInnen obligatorisch ist) und Englisch nach – falls keine Wettkämpfe anstehen.

Natürlich, sagt Miriam, die 2012 bei einem Schullauf in Spandau den Talentsichtern des SC Brandenburg auffiel und seitdem für den Charlottenburger Verein startet. Natürlich müsse sie sich manchmal vor Freunden, die nicht an der Sportschule sind, erklären: „Die sagen dann: Kannst du das Training nicht mal ausfallen lassen?“

Eliteschule des Sports

An der Poelchau-Schule trainieren derzeit 470 SchülerInnen in elf Sportarten. Die Poelchau ist auch Eliteschule des Deutschen Fußball-Bundes und eine von insgesamt drei Eliteschulen des Sports in Berlin: neben der Poel­chau sind das die Flatow-Oberschule in Köpenick und das Schul- und Leistungssportzentrum Berlin mit Standorten in Friedrichshain und Hohenschönhausen.

Zur siebten Klasse kann man an die Oberschule wechseln. Voraussetzung ist, dass man die sportlichen Aufnahmeprüfungen besteht und der Landesverband in der jeweiligen Sportart eine entsprechende Perspektive sieht.

Die LeichtathletInnen der Poelchau-Schule holten im vergangenen Jahr rund ein Viertel aller Meisterschaftsmedaillen für den Berliner Leichtathletikverband. (akl)

Kann sie nicht – will sie auch nicht: „Ich empfinde das nicht als Opfer, dass ich abends nicht einfach mal so weggehen kann wie die anderen“, sagt sie.

Weil am Wochenende eben oft ein Wettkampf ansteht. Oder weil man nach einer Stunde Dauerlauf und vielleicht noch zwei weiteren Stunden im Kraftraum ohnehin zu müde zum Weggehen ist. Dieses Gefühl, sagt Miriam, bei Weltmeisterschaften im Finale zu laufen, das sei einfach „so viel größer. Das trägt dich.“

Schulleiter Rösner weiß um die Skepsis, die die Gesellschaft dem Leistungssport bei Kindern entgegenbringt: zu viel, zu früh, zu hart. Er weiß um dieses Bild und bemüht sich um ein anderes.

Gerne führt er dafür die Gäste von der Zeitung über das weitläufige Schulgelände im Sonnenschein am Fußballplatz vorbei, in die große Turnhalle zu den Hockeyspielern, am Trainingsbecken der SchwimmerInnen vorbei. Er hat ein joviales Schulterklopfen für den Schwimmtrainer parat, einen scherzenden Zuruf für die Herthaner-Jugend nebenan. Einer Gruppe SiebtklässlerInnen, die im Treppenhaus der Schule herumhängt, klaut er scherzend ein paar Salzstangen aus der Tüte. Die lachen, etwas unsicher, über ihren offenbar gut aufgelegten Schulleiter.

„Ich kenne die Namen aller meiner Schüler“, sagt Rösner. Er sagt, er trainiere auch mal bei den Schwimmern mit – weil die sich freuten, wenn sie dann gegen ihn gewinnen. „Das gehört doch für einen Schulleiter dazu, oder?“

Doch das Joviale darf nicht darüber hinwegtäuschen – es ist eine Art Korpsgeist, der hier herrscht, wenn auch ein sehr freundschaftlicher. Denn die Leistung, die muss schon stimmen.

Karsten Sokolowski, der zuständige Schultrainer für die Leichtathleten, steht am Rand der Laufbahn, die muskulösen Arme verschränkt, schwarze Sonnenbrille im grauen Stoppelhaar, und nickt hinüber zu der Gruppe Läufer, die sich vor der Tribüne warm macht. „Da sind ein paar dabei, die es auf jeden Fall nicht schaffen werden, das ist schon klar“, sagt er lapidar. Die Jugendlichen würden das aber meist sehr realistisch und nüchtern selbst erkennen – bei deren Eltern sei es dagegen oft schwieriger, sagt Sokolowski. „Die sind mitunter motivierter als die Sportler selbst.“

Es ist eine Art Korpsgeist, der hier herrscht. Aber ein freundschaftlicher

Regelmäßig setze man sich deshalb zu „Laufbahngesprächen“ mit Eltern und SchülerInnen zusammen, sagt Sokolowski. Dann überlege man, ob es nicht besser sei, sich einen Plan B neben dem Sport zu überlegen. „Oft haben wir auch Schüler, bei denen die sportlichen Leistungen nicht ausreichen, aber die schulischen Noten super sind.“ Die versuche man dann im Förderprogramm des Landessportbundes zu halten – mit der Perspektive, später als Übungsleiter oder Trainer zu arbeiten. „Das sind für den Sport sehr wertvolle Leute, auch wenn sie es als Athleten nicht ganz nach oben schaffen.“

Konzentration auf Training

Auch Miriam hat Pläne, falls der letzte Erfolg auf der Laufbahn ausbleiben sollte. Sie würde gerne Jura studieren. „Dafür muss mein Notenschnitt aber noch besser werden, der liegt gerade nur bei 1,6“, sagt sie. Nur? Sie lächelt nachsichtig. Mittelmaß ist nicht akzeptabel. Dass andere darüber die Augenbrauen heben, ist sie offenbar gewohnt. Zuletzt sei es ihr nicht so leicht gefallen, sich auf die Schule zu konzentrieren, sagt sie, wegen der Wadenverletzung. „Wenn es bei mir beim Laufen Probleme gibt, kann ich mich nicht auf die Schule konzentrieren“, sagt Miriam. „Ich brauche diese Gewissheit, mich auf das Training konzentrieren zu können.“

Ihren MitschülerInnen geht es offenbar ähnlich. Schulleiter Rösner erzählt, was seine SchülerInnen garantiert immer zum Lernen motiviere: „Wenn wir merken, da lässt einer in den schulischen Leistungen nach, reicht es meist schon, die nächste Trainingseinheit zur Diskussion zu stellen.“

Auf der Tribüne an der Laufbahn steht Miriam Dattke sichtlich erlöst auf, als der Reporterin endlich die Fragen ausgehen. Eilig verabschiedet sie sich gen Kraftraum. Sie muss ihren Job machen, und sie will ihn gut machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen