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Visionen vom Fortschritt

architektur Das Haus am Waldsee zeigt die Arbeiten des Architekten J. Mayer H. von den Anfängen bis heute. Kaum zu glauben, dass die Gitterstrukturen und urbanen Plastiken nicht zusammenkrachen

von Rolf Lautenschläger

Menschen mit klaustrophobischen Anwandlungen sollten in den kommenden zwei Monaten das Zehlendorfer „Haus am Waldsee“ vielleicht meiden. Der große Raum des Ausstellungshauses ist abgedunkelt. Wie in einem Panorama flimmern Videoprojektionen digitaler Gitter- und Drahtmodelle an allen vier Wänden. Die schwarzweißen Stäbe und Linien bilden erst geometrische Raster und Käfige, dann setzen sie sich in Bewegung und verwandeln sich in organisch geformte Skelette und in sich verdrehte Räume. Schließlich werden die „wireframes“ zu wilden Rohbaukonstruktionen, wie man sie von dekonstruktivistischen Schnittmustern à la Zaha Hadid kennt.

Die 3-D-Installationen dynamischer und schiefer Rohbaugitter, die man im Erdgeschoss des Hauses am Waldsee sieht, bilden den Auftakt der Ausstellung „J. Mayer H. – Strukturalien. Architektur als urbane Plastik“, welche erstmals in Berlin das Werk des Architekten von seinen Anfängen 1990 bis heute skizziert. Die Rauminstallation stellt quasi den intellektuellen Unterbau der Entwurfs­praxis von J. Mayer H. dar und zeigt die Entstehung und Übersetzung dieser digitalen skulpturalen Strukturen für die baubare Architektur auf.

Gleichwohl sind auch die realisierten Bauten und Projekte, die das zweite Kapitel der Schau im Obergeschoss präsentiert, nicht weniger irritierend. Zwar ist der Stuttgarter Jürgen Mayer H. (50), der sein Architekturbüro 1996 in Berlin eröffnet hat, längst kein Unikum mehr in der Szene. Er plant in Deutschland, Dänemark, Georgien oder Spanien preisgekrönte Bauten. Bemerkenswert ist jedoch, dass er den „Spirit“ seiner Architektursprache, die von der Bildhauerei, Musik, Computertechnologie sowie der organischen Bauweise inspiriert ist, quasi nie verraten hat. Vielmehr stellt er damit die aktuell gängige Ästhetik beim Bauen immer wieder infrage oder kommentiert diese.

J. Mayer H.s „Mensa Moltke“ (2007), ein Stabwerkskäfig für den Fachhochschul-Campus in Karlsruhe; der krakenhaft aus dem Schwarzen Meer in Lazika (Georgien) aufsteigende 31 Meter hohe Kopf der „Seebrücke“ (2012) oder die begehbare Riesenschirmskulptur „Metropol Parasol“ (2005 bis 2011), die quer über den Marktplatz in Sevilla gebaut ist, dokumentieren die Umsetzung der Ideen kunstvoller, plastischer, bewegter Formen in feste Gebäude.

Angesichts der spektakulären Modelle, Entwürfe und Videoinstallationen, der Skizzen, Fotos und Plastiken des Architekten, der im „Grenzbereich des Utopischen plant und arbeitet“, wie Ludwig Engel, Kurator der Schau, bei der Eröffnung sagte, fragt man sich natürlich: Kann man in diesen räumlichen Strukturen eigentlich leben und arbeiten, funktionieren die Bauwerke und die urbanen Plastiken im städtischen Kontext? Und wird etwa das Freizeitzentrum mit Wellenkanal für Surfer am Alexanderplatz 2018 ein ähnlicher Treffpunkt für die Hipster der Stadt wie der „Metropol Parasol“ in Sevilla, wo innovative Architektur mit der historischen Stadt einen tollen Dia­log führt?

Er war einer der Ersten, der mit ‑Computer-aided Design experimentierte

Das Haus am Waldsee stellt diese Fragen nach der Nutzbarkeit und Brauchbarkeit dieser Architekturen kaum, sondern konzentriert sich auf das innovative Konzept des Architekten. Damit vermeidet man natürlich eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Arbeit. Wie schon mit den Ausstellungen zu Graft-Architekten (2011) und Haus-Rucker-Co (2015) geht es den Kuratoren auch mit J. Mayer H. um kreative Ansätze in der Baukunst, welche die Handschriften der Nachkriegsmoderne der 1960er und 1970er Jahre aufzugreifen und weiter zu entwickeln suchen.

Im Kontext der Ausstellungsreihe passt das dann wieder: Die präsentierten Strukturalien und urbanen Plastiken erinnern nicht nur an die baulichen Visionen jener fortschrittsgläubigen Zeit. Sie zeigen auch die radikalen Veränderungen des Architektenberufs und die Möglichkeiten in der Entwurfspraxis auf. Pläne aus Papier oder Reißbretter sind obsolet geworden. Häuser kommen heute aus dem Rechner, und J. Mayer H. war einer der Ersten, der mit Computer-aided Design (CAD) und Programmen experimentierte und digital Konstruktionen erarbeitete.

Damit spielt er bis dato – womit ein Vielfaches an Optionen für Bauten und Materialien entstand und entsteht. „Mit der Digitalisierung sind die Ideen von damals [1960/70, d. V.] ins Spektrum des Machbaren gewandert“, so folgert Ludwig Engel in der kleinen Ausstellungsbroschüre. Was stimmt. Und wieder auch nicht: Eine Auseinandersetzung mit zukunftsorientierter Architektur gab es zu den Zeiten alter Pläne ebenso.

Haus am Waldsee, Di.–So., 11–18 Uhr, bis 26. Juni

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