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Perspektiven gegen die Auswanderung gewünscht

Wirtschaft Viele Kubaner wollen schnellere Reformen. Ökonomen hoffen, dass dann mehr Menschen im Land bleiben

HAVANNA taz | Carlos Cristóbal Márquez ist ein Rückkehrer. Als er im Oktober 2010 erfuhr, dass kleine private Restaurants auf Kuba ab sofort wieder legal seien, hat er das erste Mal an eine Rückkehr in seine Heimat gedacht. Nach dem 6. Parteitag der kommunistischen Partei Kubas wenige Monate später wurde seine Idee konkreter – mit der damals beschlossenen Reformagenda zeichneten sich die Konturen für ein Konzept der ökonomischen Entwicklung der Insel ab.

Die Abwanderung der Bevölkerung ist ein großes Problem für Kuba. Die Universitäten des Landes verlieren schnell ihre besten Kräfte, weil diese auswandern. Deswegen tritt etwa der Ökonom Juan Triana, Wirtschaftsprofessor an der Universität Havanna, für die weitere Öffnung der kubanischen Wirtschaft ein. Dafür ist die Lineamientos genannte Reform­agenda zentral.

Ein Beispiel für die Probleme durch die Auswanderung ist die Informatikuniversität (UCI), die ihren Sitz auf dem Terrain des ehemaligen russischen Abhörposten Lourdes auf Kuba hat. Sie verliere so rund 40 Prozent ihrer Absolventen, kritisieren Wissenschaftler wie Triana.

Die Anzahl der Kubaner, die die Insel aus Mangel an Perspektiven verlassen, scheint trotz der US-Annäherung vorerst nicht zu sinken. Erst vor ein paar Tagen überwanden rund 1.000 Kuba­ner die Grenze von Panama nach Costa Rica mit Gewalt, um weiter gen USA zu reisen, wo sie dank des „Cuban Adjustment Act“ Bleiberecht erhalten.

„Es gibt mittlerweile eine neue Route über Guyana. Dahin können Kubaner ohne Visum einreisen, und dann geht es über Brasilien gen Norden“, so der Taxifahrer Yoan López. In Guyana gilt für Kubaner keine Visumpflicht.

Für Yoan López ist Auswanderung dagegen kein Thema. Das liegt vor allem daran, dass seine Frau als Ärztin im Ausland arbeitet und gutes Geld verdient. „Ich hoffe, dass die Reformen weitergehen und dass sie neue Dynamik entfalten“, sagt der Taxifahrer. Eine Hoffnung, die in den Straßen von Havanna sehr verbreitet ist.

Neue Impulse für die wenig dynamische Wirtschaft des Landes sollen nichtagrarische Genossenschaften bringen, über die auf dem Parteitag diskutiert und für deren Aufbau eventuell eine neue Institution geschaffen werden soll.

Das sei überfällig, findet Josmany Gómez Praz aus Santa Mar­ta. „Die Genossenschaftsidee ist charmant“, sagt er. Aber der Rahmen dafür sei zu eng gesteckt. Außerdem sei die Idee auf Eis gelegt worden, „weil man sich nicht einig wurde“, kritisiert der Kleinunternehmer. Gómez Praz stellt Piñatas her, Pappmachéfiguren, die meistens Süßigkeiten oder auch Schul­utensilien enthalten. Der Protestant möchte mit anderen Kirchenmitgliedern eine Genossenschaft aufbauen, die Schülern Nachhilfe gibt.

Die Museumsmitarbeiterin Mi­raida Malinda kritisiert die lange Wartezeit bei der Ausarbeitung der Lineamientos und die fehlende gesellschaftliche Diskussion: „Wenn man ein neues Wirtschaftsmodell aufbauen will, braucht man mehr und transparentere Debatten. Von der jüngeren Generation verfolgt doch kaum jemand den Parteitag. Der lockt weniger Zuschauer an als ein durchschnittliches Fußballspiel der spanischen Liga.“ Karl Kaufmann

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