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Mal eben Jazzstadt

Festival Zum elften Mal wird Bremen mit „Jazzahead!“ für ein paar Tage zur Jazzstadt – mit genug Programm für ein ganzes Jahr

von Jens Fischer

Aus dem Dialog mit der Tradition stets neue Funken zu schlagen, ist Bremen nicht fremd. Aber eine Jazzstadt sind wir nicht. Die kauzige Innovationskraft der Improvisation wird eher am Rande des Kulturbetriebs gefeiert. Allerdings einmal im Jahr putzt sich die Hansestadt heraus, holt die Jazzwelt an die Weser. Prunkt an drei Tagen mit einer nicht zu bewältigenden Zahl von Konzerten, die übers Jahr verteilt ein prima Argument wären, Bremen als Jazzstadt zu entwickeln.

110 Konzerte sollen es bei der 11. „Jazzahead!“ sein, haben die Veranstalter gezählt. Das umfangreichste Angebot halten heute das European Jazz Meeting und die Clubnight bereit. Mit dem Import dieser Idee erweiterte sich die Fachmesse zum Publikumsfestival. Bremer Kulturveranstalter reißen sich darum, dabei zu sein. 34 vielfach abseits der Jazzpilgerpfade liegende Spielstätten laden nun ihr Publikum zu neuen Musikerfahrungen und die jazzverrückten Konzerthopper des Festivals zur Erkundung neuer Orte in Bremen. Wobei das Angebot vielfach niedrigschwellig für Einsteiger konzipiert ist. Die kleinfeine Bremer Jazzgemeinde genießt den trubeligen Besuch, fühlt sich unter den internationalen Gästen wie Bewohner einer Jazzstadt.

Das anfänglich scheel beäugte Konzept, nicht nach New Orleans, Chicago, New York, London oder Berlin, sondern ausgerechnet nach Bremen die weltweit mit Jazz ihr Einkommen bestreitenden Menschen einzuladen, ist inzwischen ein expandierendes Projekt der Messe Bremen geworden, bringt also Geld in die Stadt und steht daher „nirgendwo mehr in Frage“, wie Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz zur Eröffnung betonte.

Messe-Chef Hans Peter Schneider belegt den Erfolg auf Nachfrage so: Von 2006 bis heute sei die Zahl der ausstellenden Firmen von 182 auf 900, die der Fachbesucher von 850 auf über 3.000 gestiegen. Vorbei seien die Zeiten einer Insider-Tagung. Was der Ortswechsel deutlich macht. Längst wurde der Kuschelcharme der postmodernen Putzigkeit des Congress-Centrums verlassen und in die weitaus größeren Hallen 6 und 7 umgezogen. Da auch zunehmend mehr Amerikaner kämen, prognostiziert Schneider für die kommenden Jahre ein weiteres Wachstum auf 5.500 Fachbesucher – dann würde er auch die Stadthalle öffnen.

Je größer die Veranstaltung wird, also desto mehr Musiker, Produzenten, Festivalmacher, Konzertveranstalter, Label-Manager, Musikvermarkter, Instrumentebauer, Journalisten, Kulturförderer anwesend sind, desto wichtiger wird die „Jazz­ahead!“ auch als Talentbörse und Exportplattform. 587 Bands aus 43 Ländern haben sich für die Showcase-Konzerte, 30-minütige Präsentationen, beworben, nicht einmal einem Zehntel genehmigten Jurys einen Auftritt.

Dabei ist das Ambiente wenig einladend. Die riesigen Mehrzweckkästen mit der Lagerhallenanmutung wurden abgedunkelt, mit gigantischen schwarzen Lappen behängt und dann funzelig illuminiert. Die Empfangshalle lässt die Besucher kirchenartig ihre Winzigkeit spüren. Die Messe selber schottet sich von den Jazzfans ab, ist für Konzertkartenkäufer nicht mehr einfach so zugänglich. Aber was soll man dort auch? Jeder Aussteller schmückt seinen 08/15 formatierten Präsentationskasten nach Gutdünken und versucht mit hochpreisigen Alkoholika, Süßigkeiten, Präsentchen und empathischen Worten vom seinem Angebot zu überzeugen. Business as usual. Exakt so sieht es aus, wenn sich Medizintechnik, das Bäckerhandwerk oder die Hightech-Zukunft des Bibliothekswesens präsentiert.

Exakt so sieht es aus, wenn sich Medizintechnik, das Bäckerhandwerk oder das Bibliothekswesen präsentieren

Jedes Jahr wählt die „Jazz­ahead!“ ein anderes Partnerland. In diesem Jahr spendierte die Schweiz zwecks Imagewerbung einige Veranstaltungen vor dem Festivalwochenende. Was mit Jazz selten etwas zu tun hat und zeitlich sowie örtlich arg zerstreut wirkt. Das Tableau vivant eines Schweizer Choreografen in der Schwankhalle, alpenländische Literatur hier und dort mal vorgelesen, Schwyzerdütsch ist im Kino 46 zu hören. Nett. Skurril wird es, wenn „Mensch, Puppe!“ als Premiere „Die Physiker“ zeigen, die nun ausgerechnet von Friedrich Dürrenmatt erfunden wurden, der nun zufällig Schweizer ist – und schon wird das „Jazzahead!“-Label draufgepackt. Ärgerlich die Weserburg-Schau von Plakaten des Montreux-Festivals. Obwohl die auch von Weserburg-kompatiblen Großkünstlern gestaltet wurden, wird keine Ausstellung drumherum kuratiert, sondern damit nur ein Raum zutapeziert.

Und die Musik? Bei der „Swiss night“ sollen innovative, gewagte und junge Projekte zu erleben sein. Jung immerhin sind die Musiker. Und dass die Schweizer Musikhochschulen mindestens ebenso gut ausbilden wie die deutschen, ist zu hören. Frischwärts werden Traditionen reanimiert. Balkanesischen Folk-Jazz bietet die aus Albanien stammende Sängerin Elina Duni. Auf frei pulsierenden Grooves formatiert sich Jazzrock, für den das Weird-­Beard-Quartett die erste Silbe betont. Kontrabassist Luca Sisera hetzt sein Quintett in Bebop-Laune. Im Genre Schlagzeugsolo betätigt sich Julian Sartorius, allerdings nicht als kraftstrotzende Angebernummer, sondern als fein ziseliertes Klanghörspiel.

Stichwort Pianotrio: Mit flamboyanter Eloquenz betreibt Colin Vallon das Suchen und Finden, Ausmalen und analytische Zerlegen von Melodien. Originell ist Plaistows Minimaljazz: Auf monomanischem Ein-Ton- oder Zwei-Akkord-Gehämmer des Pianisten und fett artikulierter Bassfigur wird ein Rockschlagzeugkurs für Fortgeschrittene performt. Jubel. Sonst ist die Zustimmung eher mau. Vielleicht die ersten Katerfolgen des Konzertüberangebot-Rausches.

Das Programm gibt es unter www.jazzahead.de

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