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Verunsicherte Pfleger

KrankenhäuserWarnstreiks sollen ganze Stationen treffen. Vivantes verweigert die entsprechende Notdienstvereinbarung

Langer Atem: Schon im vergangenen Jahr streikten die Pflegekräfte der Charité Foto: Gregor Fischer/dpa

von Susanne Memarnia

Streiken könnte so schön sein: Bei herrlichstem Sonnenschein sitzen am Donnerstagmittag rund 30 Krankenschwestern und -pfleger vor dem Vivantes Klinikum am Friedrichshain auf Bierbänken und löffeln Suppe mit Würstchen aus Plastiktellern. Den ersten Tag im Rahmen der bundesweiten Warnstreiks für 6 Prozent mehr Lohn im öffentlichen Dienst geht die Gewerkschaft Verdi gemütlich an. An diesem Tag ist nur das Klinikum Friedrichshain betroffen, erst am Montag und Dienstag soll es richtig zur Sache gehen: 1.000 Betten an verschiedenen Charité- und Vivantes-Kliniken will man bestreiken, sogar ganze Stationen dichtmachen.

Vorbild Charité-Streik

Im vorigen Sommer streikten die Pflegekräfte an der Charité zehn Tage lang und legten 1.000 Betten lahm. Nun gebe es nach monatelangen Verhandlungen ein "unterschriftsreifes Papier", sagte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger am Donnerstag.

Kern der Vereinbarung sind Mindeststandards beim Personal, pro Station wurde eine Mindestzahl von Pflegekräften vereinbart sowie Maßnahmen, wie man diese, etwa bei Krankheitsfällen, gewährleistet. Am Montag und Dienstag können Verdi-Mitglieder der Charité in einer Urabstimmung darüber abstimmen. (sum)

Doch ob das klappt, ist ungewiss. Denn die Geschäftsführungen beider Klinikkonzerne weigern sich, Notdienstvereinbarungen für den Streik zu unterzeichnen. „Damit untergraben sie unser Streikrecht“, ärgert sich Meike Jäger, Verhandlungsführerin von Verdi bei der Charité. Vivantes bestreitet dies: Man achte das Streikrecht, doch sei die vorgeschlagene Vereinbarung im Vergleich zu früheren „deutlich verschärft“, so ­Konzernsprecherin Kristina Tschenett zur taz. Mit der Schließung ganzer Stationen werde die Aufnahmekapazität für Tage reduziert und sogar die Rettungskette für Notfälle gefährdet.

Notdienstvereinbarungen sollen sicherstellen, dass die Versorgung von PatientInnen bei Krankenhausstreiks gesichert ist. Kernpunkt der Vereinbarung, die in den letzten vier Jahren bei der Charité galt und die Verdi dieses Mal auch bei Vivantes anwenden wollte, weil sie deutlich arbeitnehmerfreundlicher ist: Die streikwilligen Pflegekräfte kündigen sechs Tage vorher an, welche Stationen sie komplett bestreiken, und drei Tage vorher, wo sie „nur“ einzelne Betten bestreiken wollen, erklärt Jeanine Balder, Gewerkschaftssekretärin bei Vivantes. So habe sich der Arbeitgeber auf den Streik einstellen, Patienten verlegen und planbare Operationen rechtzeitig absagen können. „Es gab nie Probleme für die Patienten“, berichtet Balder. Dennoch wollte die Charité ein solches Papier diesmal nicht unterschreiben, „offenbar im Schulterschluss mit Vivantes“, vermutet Carsten Becker, Verdi-Betriebsgruppenführer.

„Es gab nie Probleme für die Patienten“

Jeanine Balder, Gewerkschafts- sekretärin bei Vivantes

Die Strategie dahinter ist klar, findet Thomas Pottgießer, Pfleger im Urban-Krankenhaus: „Die KollegInnen werden verunsichert. Ich habe jetzt das moralische Problem, ob ich streiken kann, wenn auf meiner Station noch PatientInnen liegen.“ Dass die Geschäftsführung die MitarbeiterInnen in diese Lage bringt, erhöhe aber auch „Wut und Streikbereitschaft“, hofft er.

Für Michel Tschuschke, Krankenpfleger am Auguste-Viktoria-Krankenhaus, gilt das auf jeden Fall: „Wir müssen uns jeden Streik mühsam erkämpfen“, ärgert er sich. Ohne schärfere Notdienstvereinbarung könne man nicht effektiv streiken, das hätten die letzten Arbeitskämpfe bei Vivantes gezeigt: Allenfalls hätten sich einzelne Mitarbeiter der Frühschicht beteiligt – mit schlechtem Gewissen. „Und sie haben sich dafür noch den Unmut der Kollegen zugezogen, die dann die Mehrarbeit hatten.“

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