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Als der Boden wegflog

Agrar Vor fünf Jahren starben in Mecklenburg-Vorpommern zehn Menschen, weil sie auf der A 19 in eine Sandwolke rasten. Noch immer schreitet die Bodenerosion voran

Das Unglück auf der A 19 vor genau fünf Jahren Foto: Bernd Wüstneck/picture alliance

von Lina Schwarz

BERLIN taz | Zwischen Rauchschwaden zeichnen sich ineinander verkeilte Autos ab, Helfer stürzen aus Feuerwehrautos und Krankenwagen. Noch immer finden sich im Internet die dramatischen Bilder und Videos der Massenkarambolage auf der A 19. Am 8. April 2011 waren bei Kavelstorf, unweit von Rostock, mehr als 40 Autos aufeinandergerast, mit Geschwindigkeiten von zum Teil bis zu 140 Stundenkilometern, wie Beobachter schätzten. Zehn Menschen starben, über 130 wurden verletzt.

Vor den Fahrern und Fahrerinnen war wie aus dem Nichts eine Sandwolke aufgetaucht und hatte ihnen die Sicht geraubt. Schnell lenkte die Karambolage den Blick auf ein gefürchtetes Phänomen: Bodenerosion, die fruchtbares Ackerland in Staub verwandelt. Nahe der Unfallstelle befand sich mit 1.000 mal 400 Metern ein riesiges Kartoffelfeld. Für die Region eine ganz normale Größe, wie der Kreisbauernverband damals der taz sagte; doch mit 40 Hektar ist der Acker sogar größer als ein ganzer Durchschnittsbetrieb in den alten Bundesländern.

Ursache des Sandsturms war die Agrarindustrie, sagt Burkard Roloff, Agrarexperte des BUND in Mecklenburg-Vorpommern. „Die industrielle Landbewirtschaftung auf riesigen Feldern in einer fast ausgeräumten Landschaft“ führe zu enormer Wind- und Bodenerosion. Seit 1991 seien im Nordosten der Republik zwei Drittel aller existierenden Feldhecken gerodet worden, über die Hälfte der Böden im Land stark und mittelstark erosionsgefährdet und verdichtet. „Bislang hat die Landesregierung keinen Finger krumm gemacht, um das Problem der Bodenerosion anzugehen“, sagt Roloff.

Immerhin: Am vergangenen Montag hatte das Schweriner Umweltministerium sein „Erosionsereigniskataster“ vorgestellt. Darin werden alle Fälle von Bodenerosion im Bundesland verzeichnet – laut Ministerium die „entscheidende Grundvoraussetzung, um Maßnahmen für die betroffenen Landwirte zur Bearbeitung und Gestaltung ihrer Flächen abzuleiten“. Mittlerweile seien laut Umweltminister Till Backhaus 35 Fälle von Erosion durch Wasser, und 30 Fälle von Winderosion aufgenommen worden.

Mehr als diese immerhin präzise Beschreibung der Problemlage war bislang nicht drin, erläutert eine Sprecherin des Ministeriums: „Zwischen den Abteilungen für Umweltschutz und Landwirtschaft gab es Meinungsverschiedenheiten.“

Laut dem schon etwas in die Jahre gekommenen Bodenbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern von 2002 sind insgesamt 25 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen des Landes sehr stark von Wasser- und Winderosion bedroht. Das sind immerhin 46 Prozent der Landesfläche, oder knapp 1,8 Millionen Hektar.

„Seit 1991 sind im Nordosten der Republik zwei Drittel aller existierenden Feldhecken gerodet worden“

Burkard Roloff, Agrarexperte des BUND

Für die Umweltverbände liegen die notwendigen Maßnahmen auf der Hand: „Windschutzstreifen oder Begleitpflanzen an Straßen, Wegen und Gewässern würden dem Wind die Kraft nehmen und somit Sand- und Schneeverwehungen über längere Strecken verhindern“, sagt Heinz-Herwig Mascher, Vorsitzender der Grünen Liga Brandenburg. Auch sollte die Autobahnpolizei das Recht haben, im Gefahrenfall zum Beispiel das Pflügen von Äckern zu verbieten.

An der Wurzel packe man das Problem aber nur mit einer anderen Landwirtschaft. Burkard Roloff: „Der Ökolandbau trägt als Anbausystem mit weiten Fruchtfolgen, humusbildender Düngung mit Mist und Kompost sowie dem Anbau von Luft-Stickstoff-bindenden Pflanzen wie Klee und Luzerne nachweislich zum besseren Bodenschutz bei. Mehr Ökolandbau heißt mehr Bodenschutz.“

Mecklenburg-Vorpommern mit seiner ausgeräumten Landschaft ist von der Erosion zwar stark betroffen, in Deutschland aber auch nicht alleine: Laut Umweltbundesamt sind 14 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche durch Bodenerosion gefährdet.

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