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Hello Treuhand!

Modell Deutschland Warum wird so selten über die ökonomische Transformation nach der Wende gestritten, wenn es um den Osten Deutschlands geht? Ein Einwurf aus Südeuropa

von Roger Suso

„Wir möchten, dass Du über den Osten schreibst.“ Darum hat mich die taz gebeten. „Was soll ich über die neuen Länder schreiben?“, habe ich mich sofort gefragt. Ich, ein katalanischer Journalist, der in Berlin lebt und arbeitet.

Nachdem ich länger darüber nachgedacht hatte, habe ich beschlossen, eine Frage bei Twitter zu posten. Ich wollte Input sammeln. „Was für ein Bild habt Ihr von der ehemaligen DDR und der heutigen Gesellschaft?“, lautete meine Frage.

Die ersten Antworten waren schon mal erstaunlich. „Eine Bekannte von mir, die in der DDR groß geworden ist, sagt immer den folgenden Satz, um Ost-Deutschland zu beschreiben: Was sie (die SED) uns über den Kommunismus sagten, war eine Lüge, aber was sie uns über den Kapitalismus sagten, war wahr“. Interessant, dachte ich. „Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit abstimmen“, hat Benjamin Franklin einst gesagt.

In anderen Antworten, die ich über Twitter bekommen habe, wird betont, dass die neuen Bundesländer heute in einem schlimmeren Zustand sind als die alte Bonner Republik. Die aktuelle BRD hat die Gesellschaft weiter polarisiert, aber trotzdem feiert ganz Deutschland Götzes Tor im Maracanã.

Es sind noch weitere Ideen eingegangen: „Der Abbau aller funktionierender Industrie und Dienstleistungen im Osten, hat Arbeitslosigkeit und Hartz IV gebracht.“ Und „die heutige Gesellschaft hat sich destrukturiert. Sie wurde demografisch entvölkert und politisch und wirtschaftlich aufgegeben“.

Der sich an häufigsten wiederholende Kommentar war jedoch – natürlich –, dass der deutsche Osten ein Magnet der alten und neuen extremen Rechten ist: Pegida und Neonazis. „Daher kam der NSU.“ Und die Nauener Bande. Ich erinnere mich an den Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft, abgefackelte Autos und den Angriff auf ein Parteibüro der Linken.

Die Anstalt

Der Auftrag: In den letzten Monaten der DDR wurde die Treuhand als Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet. Ihre Aufgabe war, die volkseigenen Betriebe der DDR zu privatisieren. In Paragraf 8 des Treuhandgesetzes heißt es auch, dass es „die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern“ gilt.

Der Koloss: Kurz nach ihrer Gründung Mitte 1990 war die Treuhand Eigentümerin von über 8.000 Betrieben. Dazu gehörten 45.000 Betriebsstätten, an denen über 4 Millionen Menschen beschäftigt waren. Durch eine Vielzahl von Teilungen wuchs die Zahl der Betriebe schnell auf über 14.000. Über 3 Millionen Hektar Agrarflächen und Forstflächen hatte die Treuhand ebenfalls zu privatisieren genauso wie rund 25 Milliarden Quadratmeter Immobilien. Dazu kamen etwa 40.000 Einzelhandelsgeschäfte sowie Gaststätten, Kinos und Hotels.

Das Ergebnis: Ende 1994 waren fast 14.000 Unternehmen und Betriebsteile privatisiert, ebenso 22.000 Gaststätten, Hotels und Geschäfte. Nur 140 Firmen waren noch zu haben. Von den 4 Millionen Beschäftigten hatten Ende 1994 nur noch 1,5 Millionen ihren Job. 1995 wurde die Treuhand in „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“ umbenannt und 2003 aufgelöst.

Das Attentat: Detlev Karsten Rohwedder, der Stahlmanager aus Düsseldorf, der am 1. Januar 1991 das Amt des Präsidenten der Treuhandanstalt übernommen hatte, wurde drei Monate später erschossen. Am Tatort bei seinem Wohnhaus fand sich ein Bekennerschreiben der Roten Armee Fraktion. Wer an dem Mord beteiligt war, konnte bis heute nicht ermittelt werden.

Tatsächlich zogen am ersten Aprilwochenende etwa 300 Neonazis aus verschiedenen Bundesländern (vor allem aus Brandenburg) in martialischer Selbstinszenierung durch Marzahn-Hellersdorf. Auch ein Lichtenberger AfD-Mitglied und Bärgida-Anhänger beteiligte sich an dem Aufmarsch. In Parolen und Redebeiträgen an einer Shopping-Mall, die sich Eastgate nennt, bekannten sich Vertreter von NPD, dem III. Weg und der Partei „Die Rechte“ offen zum Nationalsozialismus. Straflosigkeit im Jahr 2016.

Was mich bei meiner Twitter-Umfrage nicht wirklich überrascht hat: viele Leute die neuen Länder mit zwei Filmen beschreiben: „Good Bye, Lenin!“ und „Das Leben der Anderen“. Ich gehe davon aus, dass Deutschland diese Bilder über die Jahre von sich selbst gezeichnet hat.

Um das herauszufinden, wäre es nicht nötig gewesen, bei Twitter eine Frage zu posten. Es ist einfacher, über Ostalgie und die Stasi zu sprechen als etwa über die Geschichte der Treuhandanstalt und deren Aufgabe, die volkseigenen Betriebe der DDR zu privatisieren. In der Tat wird der Kopf einer riesigen Lenin-Statue, die einst in Berlin stand, bald in der Spandauer Zitadelle ausgestellt. Schönes Thema.

Aber die Treuhand? Die Anstalt sollte alle ostdeutschen Fabriken, Firmen und Betriebe und weit mehr als 2 Millionen Hektar land- und forstwirtschaftlichen Flächen verkaufen. Tatsächlich hat die Treuhand über 200 Milliarden D-Mark Schulden gemacht. Wie wäre es mit einem Film namens „Hello Treuhand!“ über eine der größten Betrugsgeschichten der deutschen Vereinigung.

Auch Deutschlands Nachbar hatte auch seine Treuhand. Dort spricht man vom Balcerowicz-Plan. Mit diesem würde die Gesetzgebung in den Bereichen Arbeitsrecht, Kreditwesen, Lohnpolitik, Budgetgestaltung, Steuern und Wechselkurspolitik stark umgekrempelt. Eine radikale Reformagenda, Symbol der marktwirtschaftlichen Schocktherapie, die auch deshalb durchgesetzt werden konnte, weil sie die Zustimmung der katholischen Kirche und der Gewerkschaft Solidarnośćhatte. Wenn von der polnischen Ökonomie gesprochen wird, gilt Polen immer als eines der erfolgreichsten Transformationsländer Ostmitteleuropas.

Es ist einfacher, über Ostalgie und die Stasi zu sprechen als über die Treuhandanstalt

Wie konnte es geschehen, dass sich Polen von der Euro-Krise der vergangenen Jahre weitgehend abgekoppelt hat? Das Land ist heute eine einzige Baustelle, mit viel Geld aus der EU – wie Spanien vor zehn Jahren. Ist das erfolgreich? In Polen ist die Arbeitslosigkeit nach der Wende explodiert und die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind jeden Tag prekärer geworden. Nationalismus ist das politisch-dominante Thema. Jarosław Kaczyński agiert in diesem Sinne politisch völlig ungeniert und keine einzige linke oder progressive Partei sitzt im Parlament.

Seit neuestem propagiert Deutschland das Treuhand-Modell in ganz Europa. Vor ein paar Jahren wurde das Modell aktualisiert und „Agenda 2010“ genannt. Mit Reformen dieser Art kann jedes Land die Arbeitskosten deutlich senken. Aber sie gehen einher mit dem umfassendsten Angriff auf den Sozialstaat.

Wenn Deutschland das Modell für ganz Südosteuropa ist, müssen wir daran erinnern, dass die Konsequenzen dieses Modells in dem Bild reflektiert werden, welches ich über die Twitter-Frage erhalten habe. Das ist das Modell Deutschland.

Roger Susoist Deutschlandkorrespondent der katalonischen Zeitung La Directa.Er schreibt aus Berlin als Freelancer für Medien in Spanien und Deutschland. Für die Neuland-Seite der taz wird er in regelmäßigen Abständen eine Kolumne über seine Sicht auf Deutschlands Osten verfassen.

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