Urteil zu medizinischem Cannabis: Eigenanbau kann erlaubt werden

Es ist ein wegweisendes Grundsatzurteil: Schwerkranken darf nicht mehr prinzipiell der Hanfanbau für die Selbsttherapie verboten werden.

Cannabisblätter vor schwarzem Hintergrund

In Ausnahmefällen nun auch im Eigenanbau erlaubt Foto: Ben_Sowa/photocase.de

BERLIN taz | Schwerkranke Patienten dürfen Cannabis zur Schmerzlinderung notfalls und ausnahmsweise zuhause selbst anpflanzen und sich mit den getrockneten Hanfblüten auch selbst therapieren, wenn ihnen kein anderes Arzneimittel mehr hilft. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Dienstag in einem Grundsatzurteil festgestellt.

Die bisherige Praxis des Bundesgesundheitsministeriums, unheilbar Kranken den Eigenanbau von Cannabispflanzen zu medizinischen Zwecken pauschal zu verbieten, sei unzulässig, erklärten die obersten deutschen Verwaltungsrichter. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Cannabis-Aufsichtsbehörde verpflichteten die Richter, dem schwer kranken Kläger eine Ausnahmeerlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis zu erteilen, weil das Betäubungsmittel für seine medizinische Versorgung notwendig sei und ihm keine gleich wirksame und erschwingliche Therapiealternative zur Verfügung stehe.

Die Entscheidung kommt einem Paukenschlag gleich. Sie legalisiert nicht nur den Konsum, sondern auch – im begründeten Ausnahmefall – den Anbau von Cannabis in privaten Wohnungen zu medizinischen Zwecken. Denn, so die Begründung des Gerichts: Solange unheilbar Kranken, etwa Krebspatienten bar jeder Therapiealternative, Medizinalhanf oder andere cannabishaltige Medikamente von den Krankenkassen nicht erstattet bekommen und selbst nicht bezahlen können, solange sei ihre einzige Chance auf Schmerzlinderung, die Pflanzen selbst zu züchten. Diese Chance müsse ihnen mit Rücksicht auf die grundgesetzlich geforderte „Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit“ gewährt werden, urteilte das Gericht. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung sei insofern „rechtlich zwingend vorgezeichnet“; das Ermessen der Behörde in dieser Frage „auf Null“ reduziert.

Vernichtender könnte die Kritik durch ein Gericht am bisherigen Umgang des Bundesgesundheitsministeriums mit Schwerkranken kaum sein. Über Jahre hatte die dem Ministerium unterstellte Aufsichtsbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Anträge auf Cannabis-Eigenanbau zur Schmerzlinderung pauschal abgelehnt. Lediglich Sondergenehmigungen zum Bezug von Medizinalhanf und anderen cannabishaltigen Medikamenten aus der Apotheke hatte das BfArM in bundesweit knapp 600 Ausnahmefällen erteilt; die Kosten hierfür – monatlich bis zu 1800 Euro – werden von den Krankenversicherungen jedoch nur selten übernommen. Für die meisten Kranken wiederum sind sie unbezahlbar.

Angebliche Therapiealternativen

Gegen diese Praxis geklagt hatte ein heute 52 Jahre alter, inzwischen früh verrenteter Fliesenleger aus Mannheim. Seit 1985 leidet er an Multipler Sklerose. Die Symptome seiner Erkrankung, die sich vor allem in Störungen der Motorik, des Gangs und der Sprache sowie einer Depression äußern, behandelt er seit bald 30 Jahren mit Cannabis. Aus Kostengründen – von seiner Erwerbsunfähigkeitsrente von 891,64 Euro kann er den Medizinalhanf aus der Apotheke nicht bezahlen; andere Medikamente helfen ihm laut seinen Ärzten nicht – baut er die Pflanzen in seiner Wohnung selbst an.

Zum Ärger des Ministeriums: Immer wieder verbot ihm die Aufsichtsbehörde die Pflanzenzucht. Mal behauptete sie, der Eigenanbau sei nicht notwendig, da der Kläger Therapiealternativen habe. Dann führte sie an, die Sicherheit und die Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs seien nicht gewährleistet. Später fehlte ihr der Nachweis „geeigneter Räume“ zum Anbau, zur Trocknung und Lagerung der Pflanzen. Auch seien bei einem privaten Anbau weder die gleich bleibende Qualität noch der gleich bleibende Wirkstoffgehalt garantiert. Und schließlich lasse sich der Konsum nicht effektiv medizinisch kontrollieren, monierte die Aufsichtsbehörde.

Das Bundesverwaltungsgericht ließ keinen der Einwände gelten und wies die Revision der Beklagten, der Bundesrepublik Deutschland, zurück. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Verwendung durch den schwerkranken Kläger selbst. Des Weiteren, so das Gericht, verfüge der Kläger „aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich Wirksamkeit und Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte“. Außerdem stünden der Anbau und die Therapie unter ärztlicher Kontrolle.

Neues Gesetz als mögliche Lösung

Die Behandlung des schwer kranken Mannes mit selbst angebautem Cannabis liege „ausnahmsweise im öffentlichen Interesse“, so die Bundesrichter, weil die Einnahme von Cannabis zu einer erheblichen Linderung seiner Beschwerden führe und ihm kein gleich wirksa- mes und für ihn erschwingliches Medikament zur Verfügung stehe, jedenfalls „gegenwärtig“ nicht, betonte das Gericht.

Es spielte damit auf den Cannabis-Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) aus dem Januar an, der Patienten den Zugang zu Medizinalhanf künftig erleichtern soll. Gröhe will die gesetzlichen Krankenkassen bei fehlenden Therapiealternativen dazu verpflichten, die Kosten für den Medizinalhanf zu erstatten. Zudem soll es künftig dank einer Änderung im Betäubungsmittelrecht möglich sein, dass Ärzte ihren Patienten direkt Cannabisblüten oder -extrakt auf Rezept verordnen. Die bisherige Sondergenehmigung durch das BfArM hierfür soll entfallen.

Der Eigenanbau durch die Patienten dagegen ist aus Sicht des Ministeriums weiterhin keine Lösung - aus „gesundheits- und ordnungspolitischer Sicht“. Das Gesetz soll noch in diesem Jahr vom Parlament beschlossen werden. Solange dies alles aber nicht der Fall ist, darf der Kläger aus Mannheim seine Cannabispflanzen weiter im Badezimmer züchten, entschieden die Leipziger Richter.

Strafrechtlich ist der Cannabis-Anbau Patienten in Deutschland paradoxerweise bereits seit mehr als zehn Jahren erlaubt: Vom Vorwurf des strafbaren Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln wurde der an Multipler Sklerose erkrankte Mann bereits 2005 freigesprochen. Zur Begründung hieß es schon damals übrigens: Der Patient habe keine Therapiealternative.

Aktenzeichen: BVerwG 3 C 10.14

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