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Im Krieg der anderen

Alex, Ben, Craig, Charlie und Cowboy kämpfen als Freiwillige in der Ostukraine. Es ist nicht ihr Land. Sie bekommen kein Geld, nur Kost und Logis. „Ich lebe meinen Traum hier“, sagt Craig. „Adrenalin ist die beste Droge“, sagt sein Kamerad Cowboy

Aus Donezk André Widmer (Text) undTimo Vogt (Fotos)

Wenn die Sonne scheint, bedeutet das nichts Gutes. Nicht im Krieg. Und schon gar nicht, wenn man im Schützengraben nah dem Flughafen Donezk steht. Denn wenn für die Ukrainer die Sicht über das Flugfeld gut ist, ist der Fernblick auch für die prorussischen Separatisten auf der anderen Seite gut. Es ist halb zwei Uhr mittags. Ben und Alex stehen am Feuer in ihrem Unterstand. Nur notdürftig ist die als Überdachung dienende Plastikfolie zwischen die armdicken Bäumchen gezogen. Plötzlich schlägt in unmittelbarer Nähe eine Granate ein. Dann zischen im Wäldchen Kugeln eines prorussischen Scharfschützen vorbei. Ben und Alex rennen auf ihre Position, um zurückzufeuern. Alltag an der Front.

Es ist lebensgefährlich hier. In der Nacht, wenn keine Schüsse fallen, wenn sie nicht ihre Waffe putzen oder gerade auf der Feuerstelle etwas Essen oder Tee kochen, schlafen Ben und Alex gleich neben dem Unterstand. Ihre Schlafstätte befindet sich in einem von zwei Erdlöchern, die auch vor schwererem Beschuss schützen sollen. Holz, Plastik und Erde übereinandergeschichtet bilden die Decke ihrer Bleibe für eine ganze Woche. In den Erdlöchern ist es muffig, kalt und feucht. Sie muten wie Gräber an. Und doch ist es Teil dessen, was die beiden Österreicher Ben und Alex und ihre drei amerikanischen Kameraden Craig, Charlie und Cowboy suchen: den Krieg an der Front. Auf ukrainischer Seite kämpfen diese Ausländer gegen die prorussischen Separatisten. Freiwillig. Für Kost und Logis. Und Adrenalin. „Adrenalin ist die beste Droge“, sagt Cowboy.

Task Force Pluto

„Alle reden von Hackerangriffen. Und wir sitzen hier in Schützengräben wie im Ersten Weltkrieg“Alex, Freiwilliger aus Österreich

Die fünf Kämpfer aus Europa und den USA – alle sind sie Anfang bis Mitte 20 – nennen sich „Task Force Pluto“. Sie haben sich einer Einheit der nationalistischen Organisation Rechter Sektor angeschlossen – dem einzigen Freiwilligenbataillon in der Ukraine, das noch nicht in die staatlichen Sicherheitsorgane integriert werden konnte und dank einigen Armeekommandeuren zu Fronteinsätzen kommt. Die Freiwilligen sind gern gesehen, denn sie bringen neben hoher Motivation auch noch die Waffen und Munition selbst mit.

Die Freiwilligen des Rechten Sektors stellen in diesen Tagen mit ihrem rund ein Dutzend Kämpfern eine willkommene Verstärkung für die ukrainische Armee in der Region beim Flughafen Donezk dar. Denn eben erst hat die Armee 51 Mann abgezogen. Ohne die Freiwilligen könnten an diesem strategisch wichtigen Punkt mehrere Positionen nicht durchgehend besetzt werden. Sieben Tage dauert die Rotation. Danach fahren die Kämpfer wieder für eine Woche zur Basis.

Der Krieg in der Ukraine ruhte seit Unterzeichnung des Abkommens Minsk II vor rund einem Jahr nie wirklich. Der Waffenstillstand zwischen der ukrainischen Armee und den prorussischen Separatisten wurde bis auf wenige Tage im September 2015 immer wieder gebrochen. Die schwersten Verstöße betrafen letztes Jahr die Kämpfe um Debalzevo im Februar nördlich von Donezk und um Shirokino nahe Mariupol im März. In den ersten Wochen des Jahres 2016 haben die Kampfhandlungen wieder stärker zugenommen.

Einer der Hauptschauplätze des Kriegs ist nach wie vor die Umgebung des Flughafens Donezk. Zwei größere Schlachten wurden noch vor dem Waffenstillstand um diesen strategisch wichtigen Ort gefochten. Zunächst konnten ukrainische Luftlandeeinheiten den Flughafen von den prorussischen Milizen befreien. Diese eroberten jedoch in monatelangen Gefechten das Gelände Stück um Stück zurück, bis sich am 22. Januar letzten Jahres die ukrainische Armee in Positionen außerhalb des Areals zurückzog. Von den Terminals stehen nur noch zerschossene Gerippe. Jetzt beschießen sich die Kriegsparteien am Flughafen seit vielen Monaten aus festgefahrenen Linien. Es ist ein Stellungskrieg ohne Geländegewinn. Die Beobachtungsmission der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und das Ukraine Crisis Center zählen den Beschuss – in den letzten Wochen kam es tagtäglich zu bis zu 80 Gefechten entlang der Frontlinie.

Später am Nachmittag machen sich Ben und Alex auf, um unweit des Unterstandes ein PK-Maschinengewehr mit Trommelmagazin aufzubauen. Sie stapfen durch den knöcheltiefen Schlamm im Schützengraben. „Alle reden von Hacker­angriffen. Und wir sitzen hier im Schützengraben wie im Ersten Weltkrieg“, wundert sich Alex. In der Tat: Die Schützengräben der Ukrainer hier beim Flughafen Donezk stammen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Ukrainer verzichten derzeit auf den Einsatz von Artillerie. Für Ben ist deshalb klar: „Wenn die Russen kommen, können wir nur noch davonrennen.“

Er ist sich über die Kräfteverhältnisse in diesem Krieg zwischen der ukrainischen Armee und den von Russland unterstützen Separatisten vollkommen im Klaren. Dennoch möchte er keine Minute missen – weil er hier dem Kriegshandwerk nachgehen kann. Doch nicht nur das. Wie seine ausländischen Kameraden identifiziert er sich mit dem Ziel, Russland und Putin in der Ukraine zu stoppen. Die nationalistischen Ideale des Rechten Sektors sind ihm und Alex nicht fremd. „Wenn die Leute den Nationalstolz und ihre Traditionen verlieren, verlieren sie ihr Gesicht.“ Ben ist überzeugt: „Damit vertrete ich überhaupt keine Naziideologie.“ Er verstehe nicht, wie in Österreich alles vor die Hunde gehe, sich alle Menschen passiv wie weiße Schafe benähmen und die Armee zu Tode gespart werde.

Alex denkt ähnlich. Er ärgert sich aber auch über einige Ukrainer, die beim Rechten Sektor mittun. „Ja, ich bin nationalistisch gesinnt. Das größte Problem hier ist, dass rund 80 Prozent Möchtegernnationalisten sind und meinen, sie seien große Kämpfer. Ich denke, ein Land ohne Nationalismus verliert seine Traditionen und seine Kultur. Was in Österreich leider schon länger der Fall ist.“

Nachdem vor einigen Wochen sein Kommandant bei einer Handgranatenexplosion umgekommen ist, hat Ben das Sagen bei den Freiwilligen an der Donezker Front. Der Sohn österreichisch-tunesischer Eltern ist mit seinen weniger als 25 Jahren ein Weitgereister in Sachen Militär und Krieg. Er stammt aus gutbürgerlichem Hause. „Die Eltern hatten für mich ein striktes Leben vorgesehen. Ich spielte Geige, fuhr Alpin-Ski und machte Skispringen.“ Mit 16 trat er in die Feuerwehr in seinem Dorf ein. Ben brach die Höhere Technische Lehranstalt ab und ging stattdessen zur Armee.

„Ich wollte schon immer Soldat werden. Wenn ich so zurückdenke, war ich jedes Jahr an Fasching in Camouflage.“ Beim Bundesheer ließ er sich als Gebirgsjäger ausbilden. Sein erster Auslandseinsatz im Kosovo 2012 – für ihn eine Enttäuschung. Nur auf Patrouille, keine Kameradschaft. Dann Ausbildung im Sicherheitsgewerbe. Bewachung eines Schiffes vor Somalia. Gescheiterte Aufnahme bei der Fremdenlegion. Zurück zum österreichischen Bundesheer. „Ein Scheißhaufen, den unsere Politik kaputtgemacht hat.“ Im Jahr 2014 dann in die Ukraine. Als er nicht zum Kämpfen kam, schloss er sich in Syrien der Kurdenmiliz YPG an, danach den Peschmerga im Irak im Kampf gegen den IS. Schließlich landete er wieder in der Ukraine.

Ben wird im Schützengraben von einem Perfektionsfimmel getrieben. Er kann kaum eine Minute ruhig sitzen. Mal macht er Feuer und Essen für seine Freunde. Überprüft den Erstehilferucksack mit dem Verbandsmaterial und den Medikamenten. Immer wieder versucht er seinen Leuten klarzumachen, dass nach jeder täglichen Schicht die Waffe zu putzen ist. Nicht ohne Grund: Die Kalaschnikows sind meist jahrzehntealt, teils im Kampf erbeutet, teils auf dem Schwarzmarkt erworben. Mittlerweile hat es sich Charlie bequem gemacht und putzt mit Stofffetzen, Benzin und Zahnbürste seine Waffe.

Charlie saß vor ein paar Monaten noch in Kalifornien im Büro. Darin sah er keinen Sinn für sein Leben. Seine Familie stelle für ihn nur eine Gruppe von Leuten dar, mit denen ihn nichts verbinde. „Ich habe drei Halbbrüder. Das Zuhause ist kein Daheim“, sagt Charlie. Krieg und Gewalt, das ergibt für ihn aber Sinn. „Es gibt zwei Seiten, auch beim Krieg“, holt er aus. „Man stelle sich vor, wenn niemand Hitler gestoppt hätte. Manchmal braucht es Gewalt, um etwas zu stoppen.“ Auf seinem Helm steht „Born to kill“, darein ist das Symbol für Frieden gemalt. Wie in dem Vietnamfilm „Full Metal Jacket“ von Stanley Kubrick. „Der Mensch hat das Kämpfen in den Genen“, meint Charlie. „Wenn etwas Fremdes kommt und das Bestehende bedroht, wehrt er sich.“

Bens österreichische Gründlichkeit reibt sich an der Front zuweilen auch an der ukrainischen Mentalität: Ihn nervt, wenn die Ukrainer einfach hinter dem Schützengraben auf offenem Feld herumspazieren. Er ärgert sich über ihre Lässigkeit. Ihre gelegentliche Unzuverlässigkeit und ihre Ausreden. Selbst aber verzichtet er meist auf das Tragen eines Helmes. Immerhin trägt Ben beim Schießen eine Schutzbrille und Gehörschutz. Auch von den Fertigkeiten seiner US-Kameraden ist Ben nicht restlos überzeugt. Er lobt das österreichische Bundesheer: „Unsere Ausbildung ist brauchbarer als die der Amerikaner mit ihrer modernen Ausrüstung. Ihre Angriffspläne basieren darauf, dass Unterstützung aus der Luft kommt. Sie benutzen Nachtsicht- und Wärmebildgeräte. Wenn sie die nicht haben …“

Unterschiedliche Lebensläufe und der sehnliche Wunsch, im Krieg zu kämpfen, haben die fünf ungleichen Freiwilligen in der Ostukraine zusammengeführt. Alex ist aus der österreichischen Armee desertiert – er wollte das Gelernte endlich anwenden. Cowboy verbaute sich kurz vor der Verlegung seiner US-Armeeeinheit nach Afghanistan mit Kleinbetrügereien eine Zukunft im Militär und türmte aus der Halbgefangenschaft ins Ausland.

Ins Ausland abgesetzt

Aussichtslos scheinen die Möglichkeiten für Craig: Nach fünfeinhalb Jahren mit der US-Army im Irak und in Afghanistan fand er sich in der Heimat nicht mehr zurecht. Leidend an der posttraumatischen Belastungsstörung und von Eifersucht getrieben – seine Frau hatte ihn mit einem Kameraden betrogen – fuhr er 28 Stunden mit dem Auto quer durchs Land, um seine Frau umzubringen. Was er schließlich nicht tat, aber nachdem er in einem Wohnquartier mit der Waffe herumgefuchtelt hatte, nahm ihn ein Swat-Team fest – er ergab sich widerstandslos. Die Army holte ihn wieder aus dem Knast, seine Kinder durfte er aber nicht mehr sehen.

Auch Craig setzte sich wie Landsmann Cowboy ins Ausland ab. Jetzt sitzt er in einem Sessel im ersten Stock eines stark beschädigten Hauses in der Nähe der Positionen seiner Kameraden und erzählt. „Ich lebe meinen Traum hier“, sagt er. Der Großgewachsene mit seinem markanten roten Bart ist der Überzeugung, dass das Erlebte und die Gegenwart das Schicksal sind, welches Gott für ihn vorgesehen hat. „Mir wurde dieser Weg gegeben. Ich bin religiös. Es ist etwas zwischen Christentum und Wikingerglauben. Ich glaube an Himmel und Hölle, und dass Gott einen Platz für uns hat im Walhalla. Ich bete vor dem Essen und denke, es gibt ein Walhalla für Kämpfer.“ Später sagt Craig dann noch: „Der Krieg ist eine Gratwanderung zwischen Dummheit und Heldentum.“

Die Welt von Ben, Alex, Craig, Charlie und Cowboy ist eine seltsame Welt. Sie sind keine Söldner, sie kämpfen für Kost, Logis und den Zutritt zur Front. Sie wollen den Ukrainern „helfen“ beim Kampf gegen den „Iwan“, wie Ben, der Österreicher, die Russen nennt. Sie, die Ausländer, kämpfen hier in der Ukraine im Krieg der anderen. Und wenn dieser vorbei ist oder sie nicht mehr zur Front dürfen, wollen sie weiterziehen. In einen neuen Krieg. Vielleicht nach Syrien gegen den IS. Vielleicht in den Jemen gegen die Saudis. Oder in den Südsudan. „Wenn die Zeit hier vorbei ist, suche ich mir meinen eigenen Konflikt“, sagen sie. Vielleicht fechten sie, diese Männer ohne Heimat, aber auch einen Krieg mit sich selbst aus: „Ich sehe mich ohne Wurzeln. Ich habe es schon im Blut, ich bin ein schwarzes Schaf. Ich würde zu Hause vor die Hunde gehen“, sagt Ben. Doch versöhnlich erklärt er noch, dass er denke, er komme irgendwann mal in der Zukunft wieder auf den „normalen Weg“ zurück und dass er einst wieder ein ziviles Leben führen kann. „Weil ich dann das alles verstehen werde.“

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