piwik no script img

Comic-Nerds mit Nachwuchs

Kinder-Comic „Kiste“ vom norddeutschen Künstler-Duo Wirbeleit und Heidschötter zählt zu den erfolgreichsten Comics, die ausdrücklich für junge LeserInnen verfasst wurden

Neben Kiste wirken auch Kinder manchmal recht erwachsen. Glücklicherweise aber auch wirklich nur manchmal Foto: Reprodukt

von Jan-Paul Koopmann

Comics sind Kinderkram. Und es ist noch gar nicht so lange her, da hätte dem zumindest hierzulande auch niemand widersprochen. Da lagen „Micky Maus“ und „Yps“ im Supermarktregal, und wer als Ausgewachsener noch einen Comic in die Hand nahm, der griff zu „Asterix“ – weil er den eben als Kind schon so gerne las. Doch seit Comics Graphic Novels heißen, im Feuilleton besprochen werden und immer öfter auch Ausstellungen bespielen, da macht ein Verlag wie Reprodukt plötzlich Furore damit, eine völlig neue Sparte ins Programm zu nehmen: Comics für Kinder.

Der Witz an der Sache ist: Diese Bücher sind tatsächlich etwas Neues und haben nur wenig zu tun mit den dünnen Heften plus Spielzeugbeilage aus dem Supermarkt – und noch weniger mit klassischen Bilderbüchern, deren Kombination von viel Bild mit wenig Text man auf den ersten Blick ja auch schon für eine Art Comic halten könnte.

Dass die Reihe „Kiste“, die von Patrick Wirbeleit geschrieben und vom Neu-Bremer Uwe Heidschötter gezeichnet wird, ausdrücklich kein Bilderbuch ist, liegt erst mal allerdings nicht am Stoff: Der Junge Mattis freundet sich mit einem sprechenden Karton an, den seine Eltern für eine ganz normale Kiste halten. Gemeinsam erleben die beiden überschaubar gefährliche Abenteuer und bauen allerlei Zeug. Denn die Kiste ist eigentlich der Werkzeugkasten eines Zauberers.

Doch anders als im Kinderbuch liegt die Spannung bei „Kiste“ im Arrangement der Panels und der Seiten. Pointen sitzen im Umblättern, Bewegungsabläufe strecken sich über die Seiten. Heidschötters Ausbildung zum Animationszeichner macht sich bemerkbar, wenn Mattis und Kiste über 17 Panels an einer Wippe bauen und man dem Gehämmer der hübsch schlicht kolorierten Figuren mit Freuden zuschaut.

Funktionieren tut das Spielgerät dann übrigens nicht. Weil ein auf einen Block genageltes Brett eben auch dann nicht wippt, wenn sich zwei Personen auf die Ränder stellen. Das wissen auch Kinder. Ohne aufdringliche pädagogische Hintergedanken wird hier auf Erfahrungswissen zurückgegriffen und der Spaß am Basteln in Geschichten übersetzt. Und wer am Anfang noch die Sorge hatte, die Chaoshandwerker seien eine Geschichte nur für Jungs, der darf sich über ein Kindermädchen freuen, das deutlich taffer ist, als es zunächst scheint …

„Kiste“ ist für Kinder ab sechs Jahren, aber auch für JungleserInnen anderer Altersklassen finden sich Titel im Verlagsprogramm. Und obwohl auch Erwachsene ihren Spaß an der sprechenden Kiste haben werden, beweist der Verlag Fingerspitzengefühl im Umgang mit der Zielgruppe. Das sind eben keine dieser Geschichten für alle Altersgruppen, die ja doch meist Erwachsene zum Kauf bewegen sollen und für die Kleinen nur noch auf Gewalt und komplizierte Worte verzichten.

Die Bücher verkaufen sich erst, seit sie im Hardcover erscheinen –und ein bisschen teurer wurden

Wobei: Ganz frei von Zugeständnissen an den Markt ist freilich auch die Erfolgsgeschichte von „Kiste“ nicht. Die erste Auflage kam noch als schlichte Pappbroschur daher – und blieb im Handel erst mal liegen. Man hat aufgestockt und dem Buch ein Hardcover spendiert. Für Kinder wird eben Hochwertiges gekauft und so richtig rund läuft es erst, seit die Bücher ein bisschen teurer sind. Zur Zeit ist die vierte Auflage des ersten Bandes draußen, im Herbst soll der nächste Teil erscheinen.

Reprodukt ist auch im dritten Jahr seiner Kindersparte führend in diesem Segment. Und das ist schon bemerkenswert: Seit der Verlag – diesen Monat übrigens genau vor 25 Jahren – an den Start ging, ist er maßgeblich daran beteiligt, den Erwachsenencomic auf dem deutschen Markt zu etablieren. Mit biographischen Erzählungen aus der Punk-Szene und aus sozialen Gruppen, die im Comic bis dato kaum zu Wort kamen. Die lateinamerikanische Bevölkerung der USA hat etwa in „Love and Rockets“ ihre große Comicserie gefunden, die auf deutsch bis heute bei Reprodukt läuft.

Doch wie deren Charaktere sind auch die VerlegerInnen der Indie-Comics älter geworden und haben heute selbst Kinder, die an der Leidenschaft teilhaben sollen. Kindercomics wie „Kiste“ stehen so für eine Ausdifferenzierung des Mediums – zielgruppengerechte Qualitätscomics statt Halbgarem für alle. Vielleicht ist die neue Generation von ComicleserInnen damit die erste, die wirklich frei von beknackten Schubladen und Vorurteilen ins Genre einsteigen kann.

Geschenkt gibt es „Kiste“ zum Gratis-Comic-Tag am 14. Mai

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen