Homosexualität im Iran: Er liebt jetzt Israel

Payam Feili ist Schriftsteller, Iraner und schwul. Er floh, als es für ihn zu gefährlich wurde – ausgerechnet nach Tel Aviv.

Payam Feili sitzt mit Sonnenbrille, Zigarette in der Hand, blau lakierten Fingernägeln und einem blauen Ring vor einer Stadtlandschaft. Am Hals ein Davidstern-Tattoo

Israel war für Payam Feili schon immer ein Sehnsuchtsort – deshalb auch das Tattoo des Davidsterns auf seinem Hals Foto: Maria Caroline Wölfle

Alles an mir ist eigenartig“, sagt Payam Feili. „Deshalb interessieren sich die Leute so sehr für mich.“ Manchmal, wenn sie ihn erkennen, sprechen sie ihn auf der Straße an. „Warum gerade Israel?“, wollen sie dann wissen.

Feili sitzt im Italian House, einem Café im Zentrum Tel Avivs. Die Beine übereinandergeschlagen, zwischen den blau lackierten Fingernägeln klemmt eine Zigarette. Das Gesicht ist glatt rasiert und gepudert, seine Wimpern sind mit Mascara verschönert, seine Haare durchzogen von grauen Strähnen.

Dreißig ist er und wirkt müde, aber entspannt. Gespräche mit Journalisten – das kennt er. In den vergangenen Monaten hat er Dutzende Interviews gegeben. Immer die gleichen Fragen: Warum Israel? Wie ist es, im Iran schwul zu sein? Und: Warum hat er diese Tätowierung – den Davidstern – auf seinem Hals? Die Frage, die er gerne beantworten möchte, kommt selten: Wer ist das eigentlich, Payam Feili? „Ich hatte bislang kaum Möglichkeiten, über mich und meine Arbeit zu sprechen.“

Deshalb sei er genervt von vielen Medien. „Die zeigen mich nur als den schwulen, regimekritischen iranischen Flüchtling, der in Israel Asyl sucht.“ Er will nicht auf diese Labels reduziert werden. Doch gerade die bescheren ihm Aufmerksamkeit. Nicht seine Bücher.

Liebe zur Mutter

Dabei ist Payam Feili Schriftsteller. Und er ist verliebt – in Israel. Deshalb der Davidstern auf dem Hals. Seit Ende November 2015 lebt er in Tel Aviv. Als Nichtjude nach Israel einwandern, das ist nicht so einfach, selbst für ihn als Atheist nicht. Iran und Israel sind verfeindete Staaten. Trotzdem sieht Feili seine Zukunft hier – er hat Asyl beantragt. Weil Tel Aviv für ihn ein Neuanfang ist, hier kann er endlich zu seiner Homosexualität stehen. In seiner Heimat lebte er zurückgezogen. „Ich bin nicht im Iran aufgewachsen, sondern in meinem Zimmer.“

Im Jahr 1985 wird Feili in Kermanschah geboren, einer Stadt an der Grenze zum Irak. Die prägendsten Erinnerungen seiner Kindheit sind die Lesungen seiner Mutter, zu Hause, manchmal gehen sie bis in die frühen Morgenstunden. Seine Mutter ist Lyrikerin, oft liest sie eigene Gedichte vor. Feili bleibt wach, bis der letzte Gast geht. „Ich war verliebt in meine Mutter, wenn sie las“, sagt er. „Ihretwegen habe ich mich auch in die Poesie verliebt.“ Eine seiner liebsten Zeilen der Mutter: „Ah! Deine dunklen Augen. Wie mein Umherwandern, rochen traurig.“

Irgendwie vertraut fühle sich Israel an, fast so, wie er es sich als Teenager ausgemalt hatte

Mit seiner Mutter verbringt er viel Zeit, noch mehr, als die Depressionen schlimmer werden. Feili ist bipolar, mit 15 wird ihm die Diagnose gestellt. Noch heute hat er starke Stimmungsschwankungen, muss Medikamente nehmen. „Oft möchte ich, dass das Leben so schnell wie möglich vorbei ist.“

Feilis Stimme klingt sanft. Er dreht den Kopf immer wieder zu Orly Cohen, die neben ihm auf der Bank im Café sitzt. Cohen ist eine Freundin, sie ist jüdisch und im Iran geboren. Deshalb spricht sie auch Farsi und übersetzt. Feili versteht Englisch, aber sprechen, das funktioniert noch nicht so gut.

Als Teenager beginnt er sich für Israel zu interessieren. Er sieht Filme über den Holocaust, liest die Bibel. Feili ist fasziniert von der jüdischen Geschichte und von der Thora. Israel wird zum Sehnsuchtsort, zu einer Fantasiewelt, in die er immer wieder entfliehen kann. Gärten voller Orangenbäume, die Wüste, Jerusalem, hebräische Lieder und mysteriöse Tunnel unter der Klagemauer – so stellt er sich diese Welt vor. Für die „echte“ Welt im Iran fühlt sich Feili dagegen nicht gewappnet.

Feili fällt auf

Was genau er an Israel liebt, das vermag er nicht zu benennen. Irgendwie vertraut fühle sich das Land an, fast so, wie er es sich ausgemalt hatte.

Die nächste Zigarette. Er nimmt einen Zug und bläst den Rauch durch die Nase aus. Wenn er sich nach vorne beugt, kann man unter dem Tabakgeruch sein süßliches Haargel riechen.

Dass Feili Männer liebt, hatte er auch im Iran schon offen ausgesprochen. „Homosexualität ist etwas Natürliches“, sagt er. „Homosexualität ist abnormal“, sagt das iranische Regime. Im Extremfall droht darauf die Todesstrafe. „Die Regierung mag es nicht, wenn du eine eigene Identität hast“, sagt Feili. „Entweder nimmt sie sie dir weg oder sie versucht, sie zu unterdrücken.“

Nach dem Auffliegen des NSU hieß es: nie wieder. Im sächsischen Freital scheint es dennoch zu passieren – eine rechte Terrorgruppe entsteht. Wie es so weit kommen konnte, lesen Sie in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 9./10. April. Außerdem: Warum der schwule iranische Schriftsteller Payam Feili in Israel Asyl beantragt. Und: Bierforscher Gunther Hirschfelder erklärt, warum wir noch immer am 500 Jahre alten Reinheitsgebot hängen. Am Kiosk, eKisok oder im praktischen Wochenendabo.

Wer homosexuell ist, lebt im Iran mit der permanenten Gefahr, entdeckt und bestraft zu werden. Trotzdem gibt es vor allem in Teheran eine lebendige Schwulenszene. „Man kann im Iran auch als Schwuler ganz gut leben, wenn man nicht auffällt.“ Doch Feili fällt auf. Denn er redet – und schreibt.

Im Jahr 2010 veröffentlicht er seinen Roman „Ich werde wachsen, ich werde Früchte tragen...Feigen“. Sein Leben verändert sich komplett, denn das Buch wird zwar nicht im Iran veröffentlicht, sorgt dort aber für Aufsehen. Schon der erste Satz: „Ich bin 21. Ich bin homosexuell. Ich mag die Nachmittagssonne.“

Der Roman handelt von zwei iranischen Soldaten, die sich während des Kriegs gegen den Irak ineinander verlieben. Medien wollen wissen, ob die schwule Hauptfigur Ähnlichkeiten mit Feili hat. Hat sie, auch wenn er selbst nie Soldat war. Feili will sich nicht verstecken, auch nicht im Iran. „Ich habe das als erniedrigend empfunden.“

Das Buch ist für ihn sein Coming-out in der Öffentlichkeit. Die Drohungen beginnen, mehrfach wird er inhaftiert, einmal 44 Tage in einen Schiffscontainer gesperrt. „Darüber möchte ich nicht sprechen“, sagt er.

Imagekampagne für Israel

Im Iran fühlt er sich immer einsamer. Freunde besuchen ihn nicht mehr aus Angst, drangsaliert zu werden. Es ist im Sommer 2014, als er merkt, dass es zu gefährlich wird. Er flieht in die Türkei. Dann wird sein Traum Wirklichkeit. Miri Regev, Israels Kulturministerin, erfährt von ihm und davon, dass in Tel Aviv ein Theaterstück aufgeführt wird, das auf seinem Roman basiert.

Sie sorgt dafür, dass er einreisen darf. Jetzt läuft sein Asylverfahren – eine langwierige, bürokratische Angelegenheit, meist sogar eine aussichtslose. Denn Israel hat in den vergangenen Jahren weniger als ein Prozent der Asylanträge bewilligt. Payam Feili ist trotzdem optimistisch.

„Jeder weiß doch, dass sie mir das geben werden“, sagt er. Ein schwuler Iraner, der sich vor dem eigenen Staat fürchtet und in Israel Zuflucht sucht – für die israelische Regierung ist das eine perfekte Imagekampagne. Genau wie für ihn.

Jetzt, in Tel Aviv, will er als Schriftsteller bekannter werden. Feilis Romane sind durchzogen von Poesie und abstrakten Formulierungen. „Poker und ich haben den Nachmittag in den Augen des anderen verbracht“, heißt es in „Ich werde wachsen, ich werde Früchte tragen ...Feigen“, oder „Mit einem kleinen Stück Wahnsinn in der Tasche suchten wir nach Benyamins Leben unter den Toten.“

Sein erstes Buch „Das Podest der Sonne“ veröffentlichte er mit 19. Es ist das Einzige, das im Iran erschien, wenn auch stark zensiert. Neun Bücher hat er bislang geschrieben, Israel und Homosexualität sind die dominanten Themen. Aber auch seine Krankheit drückt sich darin immer wieder aus, die Depression und die Verzweiflung, die Feili spürt. „Wer meine Bücher liest, ist hinterher nicht gerade glücklich.“

Feili fühlt sich willkommen in Tel Aviv. Israelis nehmen ihn bei sich auf, unterstützen ihn auch finanziell. Müde, sagt er, machen ihn die politischen Fragen. Nach seinem Heimatland oder dem Nahostkonflikt. „Ich bin kein Nahostanalyst“, sagt Feili. Und beginnt dann dennoch zu reden. Über die iranischen Parlamentswahlen etwa, die Ende Februar stattgefunden haben und die er nicht ernst nehmen kann. „Die haben den Leuten gesagt, wen sie wählen sollen. Präsident Rohani ist ein Heuchler, ich glaube ihm nicht ein Wort.“

Auch wenn er in Tel Aviv ein neues Leben führen möchte, sein Heimatland ist ihm wichtig. Die Feindschaft zwischen Iran und Israel: Sie besteht vor allem zwischen den Staaten. Nicht zwischen den Menschen.

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