: Politik will Proteste aushalten
STRASSEN-KAMPF
Jetzt knickt er vielleicht doch nicht ein: Heinrich Tiedemann, SPD-Ortsbürgermeister des Bremervörder Stadtteils Engeo. Dort hatte der Ortsrat beschlossen, die Dürer- in Joseph-Salomon-Straße umzubenennen – nach dem jüdischen Viehhändler, dessen Hof von 1909 bis 1939 ebendort stand. Dagegen erhob sich prompt Protest: Die Einwohner des Viertels mit den vielen Malerstraßen finden es untragbar, künftig eine „Joseph-Salomon-Straße“ zu queren.
Die hätte nicht mal direkte Anlieger, die dann etwa ihre Adresse ändern müssten – aber es gibt Menschen, deren Eckgrundstücke an die Straße grenzen. Einer dieser Betroffenen heftete zeitweise gar die Namen jener Ortsratsmitglieder, die für die Umbenennung gestimmt hatten, sichtbar an seinen Zaun. Andere übergaben 336 Protestunterschriften an Bremervördes Bürgermeister und überhaupt habe dieser Salomon damals doch nur zehn Jahre dort gewohnt.
In Wahrheit waren es 30 Jahre, und Salomon zog nicht freiwillig weg: 1939, von den nationalsozialistischen Mitbürgern drangsaliert, verkaufte er den Hof unter Wert und floh in die USA. Seine beiden Schwestern wurden ermordet, in Theresienstadt und Auschwitz. Darüber schweigen die Engeoer – Leserbriefe in der Bremervörder Zeitung forderten aber auch schon mal, man solle die Vergangenheit endlich ruhen lassen und das Gedenken nicht „erzwingen“.
Der Aufruhr war also groß, der Historiker Klaus Volland, der die Umbenennung angeregt hatte, sah sich wiederholt diffamiert und der erwähnte Ortsbürgermeister Tiedemann signalisierte, vom Protest überrascht, die Bereitschaft zum Kompromiss: Anders als beschlossen, könnte man doch einen bislang namenlosen Rad- und Fußweg, der auch an Salomons früherem Grundstück lag, nach dem Mann benennen.
Doch dafür fand sich bei einem ersten informellen Treffen nun aber keine Mehrheit: Die Engeoer Ortsvertreter wollen am ursprünglichen Beschluss festhalten. Sie haben die finale Entscheidung zunächst vertagt, um in der nächsten Ortsratssitzung am 3. Mai erneut zu beraten. PS
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen