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Die Waffen der Frau

RADICAL CHIC Ein Berliner Label stellt Handtaschen her, die so aussehen, als befänden sich Schusswaffen in ihnen. Die Kundinnen sind begeistert – Sicherheitskräfte irritiert

von Andreas Hartmann

Plötzlich stehen da diese zwei Polizisten im Klassenzimmer in Winthertur. Sie tragen schuss­sichere Westen, kommen direkt an den Schreibtisch von Sylvia F. und fordern sie auf, mitzukommen. Vor dem Klassenzimmer einer Schule für Erwachsenenbildung in der Schweiz warten vier weitere Polizeibeamte. Sylvia F. wird durchsucht.: Jemand aus ihrer Klasse habe sie angezeigt wegen der Vermutung, sie sei im Besitz einer Handfeuerwaffe, erzählt ihr einer der Beamten. Sylvia F., eine 50-jährige Frau, die als private Krankenpflegerin in der Schweiz arbeitet und aus Diskretion gegenüber ihrem Arbeitgeber anonym bleiben möchte, schildert das, was ihr widerfahren ist, sehr anschaulich. Wie eine Kriminelle wurde sie vorgeführt.

Dabei besitzt Frau F. gar keine Waffe. Nur eine Tasche aus Leder. Trotzdem musste sie nach richterlichem Bescheid 170 Franken Strafe bezahlen, wegen „Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Erschrecken von Personen“. F. habe demnach „aufgrund ihrer mitgeführten Handtasche, welche den Eindruck erweckt, als würde sich darin eine Handfeuerwaffe befinden“, ihre Mitbürger erschreckt. Und das in der Schweiz, einem Land mit einem der liberalsten Waffengesetze der Welt, wo prinzi­piell jeder Schweizer eine Schusswaffe erwerben darf.

Auf acht Millionen Schweizer kommen somit zweieinhalb Millionen registrierte Waffen. Das Corpus Delicti von Frau F. jedoch, eine Ledertasche, wurde konfisziert und nicht wieder an ihre Besitzerin zurückgegeben. Diese Geschichte erzählt einiges über eine bis zum Anschlag erregte Gesellschaft, in der gerade selbst die Gesetzmäßigkeiten von zugegebenermaßen ziemlich außergewöhnlichen Fashionstatements neu definiert werden.

In einer kleinen Hinterhofwerkstatt in Kreuzberg stellen Karoline Lobeck und Doro Brodrück seit ein paar Jahren die Ledertaschen her, von denen nun vor Kurzem ein Exemplar in Winterthur eine Art Terroralarm ausgelöst hat: Schicke, robust wirkende Ledertaschen sind das, „Dieter & Thomas“ heißt das Label. Fast alle Modelle richten sich an Frauen, nur eines gibt es speziell für Männer. Jede dieser Taschen kommt mit einem speziellen Design daher: Stets drückt sich dank eines bestimmten Bearbeitungsverfahrens der Abdruck von Handschellen, einer Flasche oder einer Sonnenbrille deutlich sichtbar durch das Leder. Ein Spiel mit der Illusion. In Wahrheit nämlich ist dort, wo scheinbar Handschellen oder Ähnliches das Taschenleder ausbeulen, einfach nur Luft.

Sonnenbrille, auch Handschellen, alles kein Problem. Der Renner bei Dieter & Thomas aber sind ganz klar die Taschen mit den vermeintlichen Knarren. „Wenn uns Leute in der Werkstatt besuchen, um sich ein wenig umzusehen, überlegen sie erst ein wenig herum, was sie denn gerne hätten. Meist kommen sie dann zu dem Schluss, dass es schon eine Tasche mit Pistole sein muss“, sagt Karoline Lobeck.

Aber offen sichtbar vermeintlich eine Beretta mit sich herumzutragen, das hätte ja nicht mal Andreas Baader gebracht. Oder eher: Gerade der nicht. Echte Terroristen tragen ihre Waffen nicht mit sich herum wie einen Spazierstock, und diese Gewissheit trägt bestimmt mit bei zu der Irritation, die so eine Tasche auslösen kann.

Angesichts der angespannten Terrorlage könnte das Produkt Schwierigkeiten bekommen

Genau diese Irritation aber scheint von den Handtaschenträgern, meist nicht junge Fashiongirls, sondern eher Frauen zwischen 40 und 60, wie Lobeck und Brodrück meinen, bewusst einkalkuliert zu werden. Auch Sylvia F. sagt, die erste Reaktion auf ihre Tasche sei „Verwunderung“ gewesen. „Aber nachdem ich die Tasche näher gezeigt habe, wich diese meist echter Begeisterung.“

Auch Doro Brodrück erzählt, eine Bekannte von ihr liebe es geradezu, mit ihrer Pistolentasche in den Club zu gehen und dort erst mal für Aufregung bei den Türstehern zu sorgen. Besagte Bekannte hole dann jedes Mal den „Waffenschein“ heraus, der der Tasche beiliegt und mit dem „die Erlaubnis zum Führen einer Dieter-&-Thomas-Tasche erteilt“ wird. Danach sei das Gelächter stets groß.

Die Trägerinnen des außergewöhnlichen Accessoires scheinen sich bewusst dazu entschlossen zu haben, Reibung zu erzeugen, sich aber auch austauschen zu wollen. Von „positiven Erlebnissen“ spricht Sylvia F., wenn sie davon berichtet, wie sie bei Zoll und Bundesgrenzschutz mit ihrer Tasche erst Verwirrung auslöste, diese dann aber „zu einem vielfotografierten Objekt“ wurde.

Für Karoline Lobeck und Doro Brodrück selbst sind ihre Taschen vor allem ein Spaß. Die beiden, die sich schon seit ihrer Schulzeit in einem Kaff im Erzgebirge kennen und heute beide Ende 30 sind, erweisen sich als ziemlich humorbegabt, aber die Witze dürfen eben auch mal wehtun, knallen, wenn man so will, und ihren Witz in Handtaschenform sollen die einen ruhig gut und die anderen eben doof finden.

Die beiden haben aber schon auch registriert, dass ihr Radical-chic-Produkt angesichts der angespannten Terrorlage zunehmend Schwierigkeiten bekommen könnte. Waffen töten Menschen, wegen Waffen flüchten Menschen in Scharen, echte Waffen sind einfach nicht witzig, und je plausibler die Vorstellung wird, dass sich in einer ihrer Taschen tatsächlich eine echte Waffe befinden könnte, desto stärker kommen die beiden Designer in Erklärungsnot. Die Geschichte in der Schweiz könnte jedenfalls ein Anzeichen dafür sein, dass bald Schluss mit lustig sein könnte. „Nach den Anschlägen in Paris“, erzählt Doro Brodrück, „dachte ich erst mal, es ist vorbei mit den Pistolentaschen“, aber die Bestellungen gingen ganz normal weiter, so ein „Je suis Paris“-Gefühl hält eben nicht ewig an. Doch jetzt auch noch Brüssel. „Würde es nun bei uns einen Anschlag geben, hätten wir wahrscheinlich gar keine Lust mehr darauf, die Taschen weiter herzustellen“, sagt Doro Brodrück und fügt süffisant hinzu: „Dann würde statt der Pistole vielleicht ein Peace-Zeichen unter die Lederhaut kommen.“

Da ist aber nicht nur die Tatsache, dass der Terror immer näher kommt und radical chic eher schal wirkt, wenn er von IS-Kämpfern mit ihren allerzynischsten Selbstinszenierungen gekapert und auf ein ungeahntes neues Level geführt wurde. Auch im Erzgebirge, ihrer Heimat, würden sich immer mehr Leute für kruden Unsinn wie die sogenannten Reichsbürger interessieren, erzählt Doro Brodrück. Immer mehr würden den Waffenschein, den echten und keinen von Dieter & Thomas, machen, und Pegida-nahe Kreise lassen immer unverhohlener verlauten, dass sie für eine Selbstbewaffung der Bürger plädieren, ähnlich wie in den USA.

Wenn nun irgendwann in Deutschland wirklich lauter Idioten mit echten Waffen herumrennen sollten, dann wäre so eine Pistolentasche keine je nach Standpunkt subtile oder grobe Intervention einer durchnormierten Gesellschaft mehr, sondern eher Affirmation. Oder es ginge einem wie der New Yorker Freundin, von der Doro Brodrück erzählt. Die würde sich schon seit ihrer Ankunft in den USA nicht trauen, mit ihrer Scheinpistole an der Hüfte durch Manhattan zu flanieren. Zu präsent sei das Szenario, dass da einer um die Ecke komme, um zu demonstrieren, wie denn eine 8-mm-Pistole wirklich aussähe.

Sylvia F., die Frau, die Winterthur mit ihrer Handtasche in Angst und Schrecken versetzt hat, gibt sich übrigens vorerst bedeckt. Sie hat sich gleich wieder eine Ledertasche in Berlin gekauft. Aber sicherheitshalber nur das Modell mit den Handschellen.

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