Take-away-Müllberg den Kampf angesagt

Müllvermeidung I Essen zum Mitnehmen boomt und produziert immer mehr Müll. Das Kreuzberger „Tiffin Projekt“ setzt dem ein in Indien bewährtes Prinzip entgegen: Mehrweg to go aus Edelstahl. Die Pilotphase läuft bis Mai. Acht Restaurants haben sich beteiligt

So geht „Mehrweg to go“: Unternehmer Mustafa Demirtas und Projektleiterin Anna Behrendt Fotos: C. Prößer

von Claudius Prößer

Edelstahl ist ein fester Bestandteil der indischen Küche: als Geschirrmaterial. Ein Thali beispielsweise, also eine Zusammenstellung verschiedener Gerichte, wird auf Tabletts und in Schälchen aus Metall serviert. Auch in vielen indischen Restaurants von Berlin kommt das Material ebenso auf den Tisch. Und wer die ayurvedischen Köstlichkeiten aus der Küche des Schöneberger „Dabbawalla“ zu Hause oder am Arbeitsplatz verspeisen will, kann das jetzt ganz zünftig aus Edelstahlbehältern tun: Reis, Dals, Currys und Chutneys werden in silberglänzende Schalen gefüllt, die, übereinandergestapelt und mit einem Spannverschluss gesichert, ein Take-away-Töpfchen ergeben – die Edelvariante der Lunch-Behälter, die die „Dabbawallas“, die Essenstransporteure von Mumbai, Tag für Tag aus den Haushalten an die Arbeitsplätze bringen.

Aber der rostfreie Lieferbehälter ist keine Erfindung des Restaurants in der Hohenstaufenstraße. Die „Tiffin Box“, so ihr am indisch-englischen Wort für den Henkeltopf angelehnter Name, ist die jüngste Idee des Berliner Unternehmers Mustafa Demirtas. Der Ingenieur, der lange in der Medizintechnik tätig war, vertreibt seit einiger Zeit in Indien gefertigte Essensbehälter aus Edelstahl unter dem Label „Eco Brotbox“ und hat nun mit dem „Tiffin Projekt“ dem wachsenden Take-away-Müllberg den Kampf angesagt. Das „Dabbawalla“ ist eines von acht Restaurants, die sich bislang an der Pilotphase beteiligen.

In einem alten Gewerbehof an der Skalitzer Straße sitzt Demirtas mit Tiffin-Projekt-Leiterin Anna Behrendt und erklären bei einer Tasse Tee das Prinzip des „Mehrweg to go“, wie sie es nennen. „Mir schwebte ein System vor, das es den Kunden ermöglicht, Behälter so einfach auszuleihen und zurückzugeben wie eine DVD in der Videothek“, sagt Demirtas. In der Pilotphase heißt das: Wer Essen mitnehmen, aber keinen Müll produzieren will, registriert sich mit Adresse und E-Mail bei einem der teilnehmenden Gas­tronomen und kann – ohne Zuzahlung oder Pfand – die frisch befüllte Tiffin-Box mitnehmen. Das Registerkärtchen bleibt so lange im Restaurant, bis man die Box zurückbringt.

Die Pilotphase, die durch ein Startnext-Crowdfunding sowie eine Zuwendung der Stiftung Naturschutz Berlin ermöglicht wurde, endet im Mai. Wenn es dann – aller Wahrscheinlichkeit nach – weitergehe, so Behrendt, die das Projekt seit Oktober leitet, wolle man das System digitalisieren: Registrierung und Kundenbetreuung würden über eine App abgewickelt, die leer gegessene Box müsste nicht notwendigerweise an den Ort der Ausleihe zurück, sondern könnte bei jedem angeschlossenen Restaurant abgegeben werden.

Bis dahin werden Erfahrungen gesammelt. „Wir sind noch am Lernen“, sagt Mustafa Demirtas, „wir konnten ja nicht wissen, welche Überraschungen die Praxis so für uns bereithält, etwa ob die Boxen überhaupt zurückkommen.“ Das tun sie, schon weil Anna Behrendt eine freundliche Erinnerungsmail verschickt, wenn die Registrierungskarte nach einer Woche immer noch im Karteikasten steckt. Nicht auf dem Schirm hatten die ProjektlerInnen die beschränkte Kompatibilität von deutschem Essen und indischen Behältern. Seit Kurzem ist nämlich das Casino im ehemaligen Rathaus Kreuzberg mit von der Partie, aber ein paniertes Seelachsfilet oder das Schnitzel Wiener Art müssen zerschnitten werden, wenn sie ins Töpfchen sollen.

Fair produziert

Deshalb soll es bald verschiedene Behälter geben, auch einen breiten, flachen, mit dem die Kantinen und ihre Gäste besser klarkommen. Laut Demirtas macht sich hier bezahlt, dass der Hersteller für die „Eco Brotbox“ und das Tiffin Projekt ein Familienbetrieb in Südindien ist, wo man jede Menge Erfahrung mit Haushaltswaren aus Stahl hat, aber auch schon länger im Exportgeschäft tätig ist und kein Problem mit Innovationen hat. Dem deutschen Abnehmer zuliebe fügt das Unternehmen seinen stapelbaren Töpfchen dünne Silikonringe für eine perfekte Abdichtung hinzu.

Natürlich werde unter fairen Bedingungen produziert, sagt Demirtas, darauf lege man großen Wert. Eine ISO-Zertifizierung zur Qualität der Herstellungsprozesses habe der Betrieb auf Wunsch der Berliner hin durchgeführt; die Zertifizierung durch ein Fairtrade-Gütesiegel sei im Moment noch zu teuer, Interesse daran gebe es aber. „Was wir stets sehr klar gemacht haben, ist, dass keinesfalls Kinder beschäftigt werden dürfen“, so Demirtas. „Das war dort aber auch schon vor unserer Zusammenarbeit nicht der Fall.“

Der Fairnessgedanke passt sehr gut zu einem Projekt, das sich nachhaltigen Konsum auf die Fahnen schreibt. Demirtas hatte die „Eco Brotbox“, die übrigens auch im taz Shop erhältlich ist, ins Leben gerufen, weil er seinen beiden Kindern keine mit Weichmachern belasteten Brotdosen aus Kunststoff mit auf den Schulweg geben wollte und sich als begeisterter Schnorchler über Plastikmüll in den Meeren ärgert. Die Ausweitung der Idee auf das Take-away-Geschäft war beinahe folgerichtig: Der seit ein paar Jahren durch Liefer-Apps befeuerte Boom bringt einen immensen Müllberg mit sich. Nach einer Statistik des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), die Demirtas auf die Hauptstadt heruntergerechnet hat, fallen hier jeden Tag rund 170.000 Take-away-Verpackungen an. Gesamtgewicht: rund 8,5 Tonnen.

Das ist ein Rohstoff- und Entsorgungsproblem, aber auch ein ästhetisches: Die Überreste von Einweg-to-go verstopfen im Sommer die Mülleimer in Parks – wenn sie überhaupt darin landen. Deshalb hofft Anna Behrendt, dass immer mehr Restaurantbetreiber auf den Dreh mit dem Edelstahl kommen. Sie ist dabei zuversichtlich: „Während der Crowdfunding-Kampagne hatten wir sehr viele Anfragen und Vorschläge. Toll wäre es natürlich, wenn sich etwa hier in Kreuzberg viele Gastronomen beteiligen würden, da fiele uns auch die Kundenbetreuung sehr leicht.“

Das richtig große Geld erwarten die Leute vom Tiffin-Projekt auch nach Abschluss der Pilotphase nicht, offensichtlich ist bei ihnen viel Idealismus im Spiel. Ein Zuschussgeschäft im Rahmen der „Eco Brotbox“ soll es trotzdem nicht bleiben: „Langfristig soll sich das Projekt selbst tragen“, sagt Mustafa Demirtas. Gerade würden verschiedene ­Abrechnungsmodelle geprüft – etwa eine fixe Gebühr, die die Restaurants für die Bereitstellung der Boxen und die Kundenbetreuung entrichten. Vielleicht aber auch ein einmaliger Mitgliedsbeitrag für die Kunden oder ein kleiner Aufschlag auf das bestellte Essen. „Die Frage ist, ob Kunden in der Müllfreiheit einen entsprechenden Mehrwert sehen“, sagt Demirtas. „Da sind wir noch in der Findungsphase.“