heute in Bremen
: "Wunderbare Sprachbilder"

Szenische Lesung Heiner Müller und der kontrollierte Wahnsinn werden kurz ergründet

Frank Auerbach

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48, ist Schauspieler und Regisseur. Seine Schauspiel-Ausbildung begann er 1990 in Rostock. Er lebt seit 2006 in Bremen.

taz: Theater ist „kontrollierter Wahnsinn“, hat Heiner Müller mal gesagt. Entspricht das auch ihrer Auffassung, Herr Auerbach?

Frank Auerbach: Das kann man schon sagen. Aber Wahnsinn ist ein dehnbarer Begriff. Jeder Schauspieler, Regisseur, Dramaturg hat eine andere, eigene Wahrheit in einem Text. Das alles zusammenzubringen: ist Wahnsinn.

Bei Heiner Müller steht: Wahnsinn heißt, dass man im Idealfall an keine Verantwortung gebunden ist.

Für mich bedeutet das, dass man ohne Angst an Texte geht – und sich nicht schon vorher fragt: Darf ich das oder das sagen? Man muss auch mal politisch unkorrekt sein dürfen, um einen Text begreifbar zu machen und zu verstehen. Wenn man sich vorher schon zu viele Dogmen auferlegt, wird man an die Themen, um die es geht, nicht rankommen.

Woher kommen diese Dogmen?

Selbst unsere relativ freie Gesellschaft, in der wir leben, baut solche Dogmen immer wieder auf. Jeder hat diese Dogmen auch in sich selbst.

Wären sie im Theater lieber intoleranter?

Es geht nicht um die Aussage! Aber was die Freiheit der Arbeit im Theater angeht, wäre ich manchmal gerne politisch unkorrekter. Wir haben ja alle eine Moralvorstellung – und die hindert uns manchmal auch. In der Kunst muss man das auch manchmal aufheben.

Ging das früher leichter?

Das kann ich schwer sagen. Ich bin ja in der DDR groß geworden, da war Theater ein Stück weit auch ein politisches Sprachrohr für das, was in der Zeitung nicht gedruckt werden durfte. Aber sicher war es früher einfacher, Tabus zu brechen – weil es mehr gab!

Und wie ist ihr Verhältnis zu Heiner Müller?

Zwiespältig!

Warum?

Er hat in der DDR in einer anderen Sphäre als ich gelebt. Obwohl er viele Repressionen erlebt hat, war er ja auch Reisekader. Manches an ihm hat mich nach der Wende gestört. Einerseits sagte er: Ich verstehe nicht, warum die alle in den Westen wollen. Aber andererseits hat er sich als erstes den Whiskey und die Zigarren in Westberlin gekauft. Da dachte ich: Mensch Heiner, du bist aber auch dem Konsum verfallen. Es ist okay, wenn andere das jetzt auch mal dürfen. Aber er hat Tolles geleistet und wunderbare Sprachbilder geschaffen.

Ist er inzwischen aus der Zeit gefallen?

Nein. Er hat Abhängigkeitsverhältnisse aufgezeigt und in seinen Texten vieles geschrieben, was universell gültig und zeitlos ist.

Wie muss man sich die szenische Lesung heute vorstellen?

Wir machen das mit einem Augenzwinkern und versinken nicht in Ehrfurcht. Man kann in etwas mehr als einer Stunde weder Heiner Müller noch dem Wahnsinn im Theater gerecht werden. Interview: Jan Zier

19.30 Uhr, Theatergaststätte Falstaff, Leibnizplatz