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„Bildung ist der beste Weg zur Integration“

Migration Als Kind floh Ahmad Arda von Jordanien nach Deutschland. Bildung war für ihn der Schlüssel zur Integration. Diese Maxime gibt er jetzt in einer eigenen Akademie weiter

von Sarah El Jobeili

Dass er dieses Mal im Mittelpunkt steht, ist seltsam für Ahmad Arda. Es gebe nicht viel über ihn zu erzählen, sagt der studierte Molekularbiologe. Es fällt ihm schwer, den Fokus auf sein Leben zu lenken während des Interviews. Seine Schilderungen münden fast immer bei den Jugendlichen. Über sie würde er gerne mehr reden. Besser wäre es sogar, wenn sie selber erzählen könnten. Über ihr altes Leben, ihre Flucht und ihre Vorstellungen vom neuen Leben.

Es geht um viel mehr als nur ums Deutsch lernen

Es geht um die unbegleiteten Flüchtlingskinder, die an seiner Akademie seit vergangenem Sommer nicht nur Deutsch lernen, sondern auch Integrationskurse besuchen. Seitdem ist das Bürogebäude in einem trostlosen Teil von Hamburg-Wandsbek bunter. Dafür sorgen die vielen Bilder der Jugendlichen, die im Flur der Akademie hängen.

An der Tafel im Raum der syrischen Klasse stehen Sätze auf Deutsch und unter einigen Begriffen das deutsche Wort in arabischen Zeichen. Es findet gerade ein Deutschkurs statt. Ahmad Arda ist stolz darauf, was die Jugendlichen innerhalb von zwei Wochen gelernt haben. Einer von ihnen steht an der Tafel und schreibt mit, was die Lehrerin ihnen vorliest. Kaum einen Fehler macht er dabei. Rechtschreibung und Grammatik beherrscht der junge Syrer bereits fast einwandfrei.

Fünf Tage die Woche werden sie hier unterrichtet. Drei Deutsch-Einheiten und zwei AGs pro Tag. „Dabei geht es nicht nur um Deutsch, sondern vor allem auch um Orientierung im deutschen Alltag“, erklärt Arda. Er kennt das Gefühl, neu in einem fremden Land zu sein. Mit 17 Jahren verließ er seine Familie in Jordanien, um in Deutschland zu studieren. Sein Leben ist geprägt von vielen Fluchten und Umzügen. Mit zehn Jahren verließ seine Familie, die ursprünglich aus Haifa stammt, Syrien und ging nach Jordanien. Dort besuchte er die Schule und machte sein Abitur. „Für meinen Vater, der sein Leben lang in der Armee diente, war Bildung alles“, erzählt Arda. „Und Bildung ist mit Sicherheit auch der beste Weg, um die jungen Geflüchteten in unsere Gesellschaft zu integrieren“, ist er überzeugt.

An seiner Akademie, die den Namen Hayatt – das im Arabischen Leben bedeutet – trägt, lernen die Jugendlichen auch etwas über die Gesellschaft, in der sie künftig leben werden, über Hygiene und über das Benehmen im Straßenverkehr. Das soll ihnen vieles erleichtern. Auch Arda musste den Spagat zwischen neuer und alter Heimat meistern. Aber er kam schnell zurecht, nahm sein Studium der Biochemie und Molekularbiologie an der Uni Hamburg auf.

Neben seinem Studium verdiente sich Ahmad Arda ein paar Euro dazu, indem er saudische Patienten in Hamburg zu ihren Behandlungen begleitete und dolmetschte. Am Ende wurde die Arbeit zu viel und er legte den Job bis zum Abschluss seines Studiums auf Eis. „Meine Eltern hatten mich schließlich nach Deutschland geschickt, um eine gute Ausbildung zu erhalten.“ Seinen alten Job im Hinterkopf, knüpfte er nach seinem Studium an diese Tätigkeit an, baute bis 2010 ein Dolmetscherteam auf und stieg in den Medizintourismus ein.

Auf die vielen Flüchtlinge war niemand vorbereitet

Als dann die Flüchtlingszahlen gegen Ende 2011 anfingen rapide zu steigen, hatte Ahmad Arda bereits einen Dolmetscherdienst aufgebaut, der die Behörden unterstützen konnte. „Zu diesem Zeitpunkt waren die Behörden nicht ausreichend ausgestattet“, sagt er. Auf Unternehmen, wie das des 37-Jährigen, waren sie angewiesen, um die Situation bewältigen zu können. Durch seinen eigenen Background konnte er die Lage schnell einschätzen und rechnete mit einem rasanten Anstieg der Flüchtlingszahlen innerhalb kürzester Zeit.

„Parallel dazu habe ich auch gesehen, dass viele Institutionen wie Erstaufnahmestellen, Jugendamt und Ausländerbehörde nur wenige Hausdolmetscher zur Verfügung hatten.“ Daraufhin machte er dem Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB), der die Aufgabe hat, die Erstversorgung der minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge zu organisieren, ein Angebot. „Unsere Firma ist mit der Zahl der Flüchtlinge gewachsen. Wir haben mit 20 Dolmetschern angefangen, heute sind es 350.“

Die Dolmetscherdienste seiner Firma „Hayatt“ nahmen hauptsächlich Behörden in Anspruch, die sich auch um die minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge kümmern. Dadurch entstand ein starker Fokus auf diese Zielgruppe. Durch seine Arbeit mit den Behörden hatte er das Gefühl, dass diese in erster Linie auf die Fassung der Krise fixiert seien, auf die Aufnahme, die Erstversorgung. „Die Aufnahme der Flüchtlinge hat viel Zeit und Arbeit gekostet.“

„An den nächsten Schritt, nämlich die Integration dieser Menschen, konnte so kurzfristig kaum jemand denken“, erklärt Ahmad Arda. „Die Aufnahme der Geflüchteten ist mit Sicherheit stressig gewesen und wird es auch immer noch sein, ist aber eigentlich eine einfache Aufgabe. Was wir aber Hand in Hand machen müssen, ist die Integration. Wir fühlten uns verpflichtet mitzumachen, denn das Recht zu haben, in dieser Krise zu helfen, ist ein Recht für alle.“

Um seiner Vision einen Schritt näher zu kommen, stellte er ein Team aus Psychologen, Sozial- und Sonderpädagogen zusammen, welches sich mit verschiedenen Integrationskonzepten und wissenschaftlichen Studien zu dieser Thematik auseinandersetzte. Am Ende stand für sein Team fest, dass Beschäftigung der ideale Weg für eine gelungene Integration sei. „Viele geflüchtete Jugendliche fühlen sich überhaupt nicht integriert und teilweise sogar gehasst.“

Umgekehrt sei es aber auch so, dass die Gesellschaft die Flüchtlinge nicht annehmen könne, wenn sie eben nicht integriert sind. Es ist ein Teufelskreis, den es durch Beschäftigung zu durchbrechen gilt“, erklärt der Geschäftsführer. „Unsere Aufgabe ist es, diesen Jugendlichen zu erklären, wie die Strukturen hier aufgebaut sind. Sie kommen mit naiven Vorstellungen hierher. Dafür kann man sie aber nicht bestrafen“, plädiert Ahmad Arda. „Wir müssen sie als Gesellschaft auf das, was kommt, vorbereiten, damit sie Geduld haben. Dies wird aber nicht gemacht.“ Hier möchte er mit seiner Akademie ansetzen.

In Zukunft zählt allein das Thema Integration

Neben den Deutschkursen, die die Jugendlichen besuchen und deren Kosten die Sozialbehörde trägt, bietet die Hayatt-Akademie auch verschiedene Arbeitsgruppen wie Kunstpädagogik, Musik, Sport, aber auch die bereits erwähnten Orientierungskurse an. Durch Exkursionen innerhalb Hamburgs, soll den Heranwachsenden zusätzlich vermittelt werden, dass auch sie Teil dieser Gesellschaft und dieser Stadt sein werden. Die Kosten für diese Aktivitäten werden von den Einnahmen seines Dolmetscherdienstes getragen.

„Viele dieser Kinder haben ihre Kindheit in der Heimat nie ausgelebt. Durch die Familie und die sozialen Strukturen wird ihnen suggeriert, dass sie als Männer stark sein müssten. Wir wollen ihnen durch Aktivitäten wie Tanzen, Gitarre spielen oder durch Exkursionen ein Stück Lebensfreude zurückgeben“, erklärt Arda. Zwischen einem und anderthalb Monaten dauert solch ein Kurs, der sie auf den Besuch einer normalen Schule vorbereiten soll.

Neben dem Unterricht für die minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge hat sich „Hayatt“ vor Kurzem auch zum Bildungsträger zertifizieren lassen. In Kooperation mit dem Arbeitsamt sollen Geflüchtete durch Weiterbildungsmaßnahmen die Möglichkeit erhalten, ihrem alten Beruf wieder nachgehen zu können. Um die Geflüchteten beruflich zu integrieren, hat seine Firma einen berufsorientierten Deutschkurs entwickelt, mit dem sie demnächst starten will. Dieser soll unter anderem auch einen EDV-Crashkurs beinhalten.

„Außerdem wollen wir den Teilnehmern auch zeigen, wie man sich richtig bewirbt und wie ein Bewerbungsgespräch abläuft“, erklärt Ahmad Arda. „Syrische Flüchtlinge erhalten meist eine Aufenthaltsgenehmigung und oft auch eine Arbeitserlaubnis. Wegen ihrer Deutschmängel oder anderen Defiziten finden diese aber schwer eine Stelle.“ Nach erfolgreichem Abschluss will „Hayatt“ den Teilnehmern beispielsweise Praktika vermitteln. „Es geht hier darum, die Potenziale und vorhandenen Fähigkeiten, die sie aus ihren alten Berufen mitbringen, aufzugreifen und weiterzuentwickeln.“ Am Ende wird sich das für beide Seiten auszahlen, ist Arda sicher: Für die Gesellschaft und die Geflüchteten.

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