: Beben mit Ansage
WAHL 2016 Die Pegida-Bewegung und eine in Sachsen-Anhalt besonders radikale AfD haben das lange schon in Ostdeutschland schlummernde Frustpotenzial geweckt
von Michael Bartsch
Der Superwahlsonntag, insbesondere das Ergebnis in Sachsen-Anhalt, wird von Kommentatoren und professionellen Interpreten gern als „politisches Erdbeben“ bezeichnet. Doch auf den zweiten Blick war der alle etablierten Parteien düpierende Durchmarsch der AfD ein Erdbeben mit Ansage. Sensible und weitblickende Geister ahnten schon bei den „Deutschland“-Rufen 1989 in der DDR, was die ersehnte Pluralisierung auch bedeuten wird. Der gern als „Kerzenrevolution“ verklärte Auf- und Ausbruch war bereits eine konservative Revolution. In dem Maße, wie ein egalitäres Einheitsregime zerbrach, traten auch latente oder unterdrückte spießbürgerliche und chauvinistische Gesinnungen wieder zutage. Die bei der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 mit drei Prozent abgestraften wahren Bürgerrechtler der DDR mussten es schmerzhaft lernen.
Geistige Restauration
Überall in Europa sammeln sich nicht erst seit dem Flüchtlingsandrang solche Kräfte rechtspopulistischen Bewegungen, die von permanenter Krisen- und Alarmstimmung profitieren. In der Post-DDR kommen Umbruchstraumata hinzu. Sozialistische Ideen, gar der propagierte Kindergartenkommunismus, schienen 1990 endgültig gescheitert – wie alle Ideen und Utopien, die durch die Wohlstandsverheißung abgelöst wurden und in eine geistige Restauration mündeten.
Die Welt und die persönliche Lebenswelt aber wurden nicht einfacher. Deren zunehmende Komplexität, Ängste und Überforderungsgefühle wie auch die Erfahrung krasser Individualisierung verlangen nach Kompensation. Haltlose Menschen suchen spät nach dem Über-Ich. Eine Antwort kann in einem kollektiven Nationalegoismus bestehen, der auch eine sozialisierende Wirkung entfaltet. Ein solches Potenzial staut sich insbesondere in der Transformationsgesellschaft Ostdeutschlands schon seit den 1990er Jahren, unbemerkt oder ignoriert.
Ursachen der hier besonders auffälligen Wahl- und Politikverweigerung wurden kaum erforscht. Dass da etwas grummelt, blitzte bei sprunghaftem Denkzettel- und Protestwahlverhalten auf, wobei seit jeher Sachsen-Anhalt mit Überraschungen auffiel. Die 12,9 Prozent einer destruktiven DVU im Jahr 1998 hat hier keiner vergessen. Solange die NPD einen Kurs der „seriösen Radikalität“ fuhr und sich einen bürgerlich-normalen Schein geben konnte, holte sie besonders im Osten einen Teil dieses Potenzials rechts von der CDU ab.
Mit Pegida und deren Ablegern bekam die schweigende Minderheit plötzlich ein Gesicht und eine Stimme. Das Aufkommen dieser Bewegung genau während des 25-Jahre-Jubels zur friedlichen DDR-Revolution fällt mehr auf als ein zeitlicher Zusammenhang zu besonderen islamistischen Aktivitäten. Gleichzeitig erstarkte die anfangs ganz anders intendierte AfD und bot den Frustrierten, Verängstigten und Suchenden eine Adresse. Von den Fatalisten ist zu hören, das wegen seiner Nazi-Schuldkomplexe besonders korrekte Deutschland hole damit nur nach, was überall in Europa längst „normal“ sei. Nationalismus, Antiaufklärung und autoritäres Denken haben Konjunktur. Soweit das einen gesamtdeutschen Sockel der AfD betrifft, stimmt das gewiss.
Zeitenwind von rechts
In Ostdeutschland aber wuchs der radikalere Flügel der Kontrapartei. Und speziell in Sachsen-Anhalt mit seinen geringen Zufriedenheitswerten kommt auf diesen Sockel noch die traditionell vagabundierende und unberechenbare Wählerschaft obendrauf. Was tun? Im Wahlschockzustand geäußerte Absichten, die „Alternative“ im Magdeburger Landtag nunmehr im parlamentarischen Alltag als „alternativ-los“ zu entzaubern, werden am Zuspruch zur AfD vorerst nichts ändern.
Zum einen bleibt das von ihr maßgeblich besetzte Flüchtlingsthema bestehen. Zum anderen werden von Wählern die immerhin schon eineinhalbjährigen Erfahrungen in den Landtagen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg nicht zur Kenntnis genommen. Die AfD gilt dort als inkompetent, bestenfalls skurril und vorwiegend auf Krawall gebürstet. Die Stärke der einen folgt auch aus der Schwäche der anderen. Der Zeitenwind weht von rechts, aber es kommt auf den Gegenwind an. Politische Kräfte, die sich für europäisch-humanistische Werte einsetzen, müssen sich deutlicher formieren und damit den so übel denunzierten „Gutmenschen“ eine Heimat bieten.
Anders als beim zweiten Anlauf in Thüringen 2014 ist das rot-rot-grüne Projekt in Sachsen-Anhalt nur halbherzig verfolgt worden. Noch vor einem Jahr sprachen die Umfragen für eine solche Option. Nun haben Linke und Grüne trotz klarer Ansagen in Menschenrechts- und Flüchtlingsfragen selbst verloren. Noch übler aber traf es die SPD, die zwar allgemein „klare Haltung“ plakatierte, aber wenig erkennbar erschien. Überall laviert die SPD zwischen dem Erbe der Schröderisierung und den alten Sozialidealen. Der übliche Verschleiß als Juniorpartner in Koalitionen mit der CDU kostete weitere Stimmen.
Schon vor dem Wahlsonntag war bei Linken und Grünen ein Murren zu vernehmen, dass sich die SPD nicht klar für ein Zusammengehen ausgesprochen habe. Die Thüringer Genossen sind da weiter und haben sich jetzt schon, drei Jahre vor der nächsten Landtagswahl im Jahr 2019, für eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün ausgesprochen. Stabile Umfragen zeigen, dass das trotz wachsender Dumpfheit im Land ein Erfolgsmodell sein kann. Wenn schon eine Vereinigung der beiden sozialdemokratischen Parteien SPD und Linke ausgeschlossen ist, sollte zumindest das Lager links von der Mitte ein entschlosseneres Gegengewicht bilden. Mit einer stark dezimierten SPD, die jetzt wieder bei der Union unterkriechen muss, dürfte das in Sachsen-Anhalt allerdings schwierig werden.
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