Ausstellung zum Gubiner Haus Wolf: Die Funktion folgt der Form
In der Staatsbibliothek Berlin eröffnete am Freitag eine Ausstellung zum geplanten Wiederaufbau von Mies van der Rohes Haus Wolf in Gubin.
Wird man demnächst die kleine Doppelstadt Guben/Gubin diesseits und jenseits der deutsch-polnischen Grenze in einem Atemzug mit Barcelona nennen müssen? Vielleicht. Denn in Gubin – also auf der polnischen Seite der Neiße – soll, wenn alles gut geht, schon in ein paar Jahren eine Rekonstruktion der Villa des Hutfabrikanten Erich Wolf entstehen. Architekt des 1926 errichteten Baus war kein Geringerer als Ludwig Mies van der Rohe. Mies erprobte hier erstmals (wenngleich recht zaghaft) den fließenden Raum als originär modernes Gestaltungsmittel.
Anders als bei Mies’ berühmtem Pavillon für die Weltausstellung in Barcelona von 1929, der 1986 an gleicher Stelle, aber gleichsam aus dem Nichts und in konstruktiv stark veränderter Form rekonstruiert wurde, gibt es in Gubin sogar noch ein mehr oder weniger erhaltenes Kellergeschoss. Der Rest des Hauses ist in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 zerstört worden. Heute befindet sich auf dem wunderbar am Hang zur Neiße hin gelegenen Grundstück eine Grünanlage, die mit Blumenrabatten an den Grundriss des verschwundenen Hauses erinnert.
Die Idee, das kubische Backsteingebäude wieder aufzubauen, stammt nicht von polnischer Seite, sondern von Florian Mausbach. Der Architekt und Stadtplaner war vor seiner Pensionierung 2009 Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung. Am Freitag wurde das Projekt in der Berliner Staatsbibliothek mit einer Ausstellung öffentlich vorgestellt und auf einer dazugehörigen Tagung diskutiert. Denn noch gibt es viele offene Fragen.
Schon ist unter den Fachleuten Streit ausgebrochen über das Ob, Was und Wie einer möglichen Rekonstruktion. Wie beim Humboldt-Forum alias Berliner Schloss scheint sich die Villa Wolf (die strenggenommen gar keine Villa im eigentlichen Sinne war) zu einer Grundsatzfrage über den Sinn der Rekonstruktion von Gebäuden zu entwickeln. Auf der Tagung saßen die Kritiker aber nur im Publikum. Von dem von rund 40 Professoren getragenen Aufruf zu einem Moratorium bei den Rekonstruktionsplänen war auf dem Podium nichts zu vernehmen.
Mausbach ist es inzwischen gelungen, ein Netzwerk von Befürwortern und Unterstützern seiner Idee zu knüpfen. Hilfreich scheint es, dass man das Wiederaufbauprojekt nun auch zu einem deutsch-polnischen Versöhnungswerk erklären kann. So kommt es, dass auf der Tagung die Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit genauso Unterstützung versprach wie ehemalige Politprominenz in Gestalt von Rita Süssmuth oder Georg Eichel.
Grundsätzlich für das Projekt
"Mies van der Rohes Villa Wolf in Gubin": Staatsbibliothek Berlin, bis 6. April, www.villawolfgubin.eu
Von polnischer Seite sprach der hiesige Botschafter ein paar warme Worte, und auch die beiden Bürgermeister der Doppelstadt, seit 1945 geteilt, aber inzwischen vor allem durch eine gemeinsame Kläranlage wieder verbunden, sind grundsätzlich für das Mausbach-Projekt.
Ziel der von Mausbach gestarteten Initiative ist ein „1:1-Modell“ der Villa Wolf, um den umstrittenen Begriff der Rekonstruktion nicht bemühen zu müssen. Doch zu spät, die Debatte ist entflammt, zumal das Projekt der Rekonstruktion bereits begonnen hat. Diese bestehen aus Vorarbeiten vonseiten der Fachhochschule Potsdam und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, die auf der Tagung davon berichteten, wie und vor allem mit welchem enormem Aufwand an Mensch, Material und Finanzen die angestrebte originalgetreue Rekonstruktion zu bewerkstelligen sei.
Tatsächlich ist die Finanzierung des sicher mehrere Millionen teuren Projekts noch völlig offen. Die Stadt Gubin selbst will möglichst gar nichts ausgeben, wie deren Bürgermeister Bartłomiej Bartczak auf der Tagung betonte. Vielleicht braucht es daher Mäzene wie Violeta Wojnowski. Die polnische Unternehmerin berichtete davon, wie sie im Zentrum von Breslau auf eigene Kosten das barocke Oppenheim-Palais zum Kulturzentrum umgebaut hat. Wojnowski sieht in dem Gubiner Projekt eine „ große Chance für Bürgerengagement“ ihrer Landsleute.
Frage der Nutzung
Bei allen Fragen der technischen Realisierbarkeit und der Finanzierung des Wiederaufbauprojekts in Gubin blieb es der letzten Rednerin des Tagung, Wita Noack vom Berliner Mies van der Rohe Haus, vorbehalten, auch einmal die Frage der Nutzung zu stellen.
Noack hat aus dem ehemaligen Landhaus Lemke, das Mies van der Rohe 1933 für ein kinderloses Ehepaar im Berliner Nordosten fertigstellte, ein lebendiges Museum gemacht, das sich der Kunst der Moderne verpflichtet hat. Kunstbetrieb (in kommunaler Trägerschaft) und Architektur liefern sich hier einen beständigen Dialog. Ein gelungenes Konzept seit nun einem Vierteljahrhundert.
Im Unterschied dazu versucht man offenbar in Gubin das Pferd von hinten aufzuzäumen: Die Wiedererrichtung der „Urvilla der Moderne“ stellt den ehernen Grundsatz der Modernisten des ‚Form follows function‘ auf den Kopf: Die Initiative will einen Mies-Bau, weiß aber gar nicht genau, was damit eigentlich anzufangen ist. Konzepte für ein Mies-van-der- Rohe-Museum sind über den bloßen Namen noch nicht hinausgekommen. Fragen der Nutzung und des Unterhalts eines solchen Museums inklusive der Personalkosten kommen bislang im Konzept der Initiative von Mausbach nicht vor.
Reichtum des Fabrikanten Wolf
Stattdessen wird von einem „kulturellen Brückenschlag“ und der „Erinnerung an die vergessene Moderne“ fabuliert. Aber soll das Haus mit seinen rund 1.000 Quadratmetern Nutzfläche dereinst leer stehen? Bauherr Erich Wolf war seinerzeit ein europaweit anerkannter Porzellansammler. Das Haus war auch im Hinblick auf diese Sammlung angelegt. Vielleicht gibt es hier auch inhaltlich einen Anknüpfungspunkt oder bei der genauso vergessenen Geschichte der Textilfabrikation im ehemaligen Guben, dem sich der Reichtum des Fabrikanten Wolf verdankte.
Mies van der Rohe hat einmal formuliert, die „Form sei nicht das Ziel, sondern das Resultat“ seiner Arbeit. Demnach wäre es wohl zuerst notwendig, sich über Zweck und Nutzen einer Villa Wolf Gedanken zu machen, um daraus Kriterien für die Art der Rekonstruktion zu gewinnen. Vielleicht findet man dann auch eher die nötigen Spender und Geldgeber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen