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Lotta, die StarkeLotta, die Rassistin

*** Meine Kindheitsheldin sollte auch die meines Sohnes werden - doch dann war da dieses Wort

Als Kind war Sonntagmorgen meine schönste Zeit. Mit meinem Lieblingsbuch, „Die Kinder aus der Krachmacherstraße“, schlich ich in das Bett meiner Eltern. Ich schmiegte mich an meinen Vater und hörte seinen Herzschlag, während er vorlas. Ich träumte mich in eine Welt aus rosa Schweinebären, mit wenig Streit und viel Sonne. Lotta, die Hauptperson, konnte alles: Schaukeln, Fahrrad fahren, einen Weihnachtsbaum besorgen, obwohl die Tannen ausverkauft waren. Lotta, meine Heldin.

Als mein Sohn geboren wurde, freute ich mich vor allem aufs Vorlesen. Er war gerade fünf, als ich das Buch meiner Kindheit aus dem Regal nahm. Wir kuschelten uns ins Bett. Meinem Sohn gefielen die Geschichten sehr.

Als ich das vorletzte Kapitel aufschlug, erschrak ich. „Lotta ist ein N***sklave“ stand da. Meine Hände zitterten.

Mein Sohn ist schwarz – „N***sklave“ ist kein Wort, das ich ihm vorlesen möchte. Ich schlug das Buch zu. Später, als mein Sohn schlief, nahm ich es noch einmal heraus. Da gibt es Lotta, die sich mit Dreck beschmiert, damit sie wie ein N**sklave aussieht. Und es gibt Totte, der weint vor Angst, als er Lotta sieht. „Manche N**sklaven sind ziemlich gefährlich“, sagt sie ihm.

Ich begann zu weinen. Ich war sicher, dass Lotta auch für meinen Sohn ein Vorbild sein könnte. Stark, mutig, selbstbewusst. Aber jetzt war sie für mich nur noch eine Rassistin.

Mein Sohn weiß noch nicht, was Rassismus ist. Aber dass er anders wahrgenommen wird als Weiße, das weiß er schon. War es feige von mir, das Buch wegzustellen, anstatt mit ihm darüber zu sprechen? Selbst wenn, was hätte ich sagen sollen? Und meine Familie, Rassisten, weil sie mir das Buch gezeigt hatten?

Heute schaue ich in jedem Buch, das ich meinem Sohn vorlesen will, nach, wie schwarze Menschen dargestellt werden. Egal, wie positiv meine eigene Erinnerung an die Geschichte ist. Sarah Wiedenhöft

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