"Die Ermittlung" in der Bürgerschaft: Kommentar von Jens Fischer: Das Unvorstellbare vorstellbar machen
Bestehlen, foltern, erschießen, vergasen. Dazu war man nicht befugt, daran nie beteiligt, davon hatte man nichts gewusst, kann sich nicht erinnern – oder, nun ja, man musste halt mitmachen, gegen die eigene Überzeugung, so waren damals die Gesetze, die Befehle, die Zwänge. Sagen Verantwortliche der KZ-Barbarei vor Gericht. Deutschland habe sich doch wieder „zu einer führenden Stellung empor gearbeitet“, da sei das mit den Toten des Holocaust doch verjährt. So lautet das verstörende Schlusswort von SS-Hauptsturmführer Mulka als Angeklagter 1 in Peter Weiss‘ Dokudrama „Die Ermittlung“.
„Laute Zustimmung der Angeklagten“ hatte der Autor bei dieser Aussage vor 50 Jahren als Beobachter der Frankfurter Auschwitz-Prozesse wahrgenommen. Und das als Anmerkung in sein Stück hineingeschrieben. Wie auch das immer wieder von der Anklagebank zu vernehmende Höllen-Gelächter. Gespielt wird keine dieser Äußerungen bei der einmaligen Aufführung im Plenarsaal der Bürgerschaft. Am Ende ist von den Zuschauern auf den Geschworenenbänken im Rang und von den Rezitatoren an den Abgeordnetentischen nichts zu hören außer Schweigen. Immer lauter werdendes Schweigen. Die Darsteller der Zeugenaussagen und Verhöre verlassen wortlos den Raum.
Regisseur Ralf Seibelt setzt auf den Verfremdungseffekt Versachlichung. Eine undramatische, entindividualisierte Form hatte auch Peter Weiss für sein literarisch aufgearbeitetes Konzentrat der Prozessakten vorgeschlagen. Die namenlosen Sprechrollen sollten ohne Psychologisierung daherkommen. Was den Profi-Mimen um den Großmeister der Sprechkunst, Martin Baum als Richter, bestens gelingt. Viel spannender aber, wie die Bremer Promis aus Politik und Kultur vergeblich versuchen, sich den ihnen zugedachten Text vom Leib zu halten. Distanzierung durch tonlos leiernden Vortrag, beispielsweise. Immer wieder schleichen sich empörte Untertöne ein. Oder Fassungslosigkeit bringt den Rezitierfluss ins Stolpern. Verblüffend, wie ausgebuffte senatorische Redenschwinger angesichts der geschilderten Gräuel herumdrucksen oder hilflos nach Betonungsmöglichkeiten zur Kommentierung suchen. Bis alle ins beredte Schweigen überblenden.
Die Gegenüberstellung mit dem Unvorstellbaren ist mehr als nur rückwärtsgewandte Pflichtveranstaltung, sie schärft unmittelbar die Erkenntniskraft für die Banalität des Bösen. Eine gewaltige moralische Distanz zu den Taten der Angeklagten trifft auf abzulehnende Nähe zu den Menschen an den Hebeln der Tötungmaschinerie. Das ist unsere Spezies.
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