heute in hamburg: „Selbst der Überfluss sein“
genuss Das Stück „Season“ feiert Premiere auf Kampnagel und wirbt dafür, sich zu vergnügen
27, die italienische Choreografin und Performerin, hat eine Ballettausbildung und studierte zeitgenössischen Tanz.
taz: Frau Nardin, in Ihrem neuen Stück geht es um das Vergnügen. Was gibt es denn da zu sagen?
Giorgia Nardin: Genuss und Freude sollten als etwas Simples behandelt werden. Es geht darum, Freude für sich zu gewinnen und zu feiern. Auch bei der Arbeit spielt Vergnügen eine Rolle.
Vergnügen betrifft also alle Lebensbereiche?
Genau. Doch nicht immer ist es ein positives Gefühl. Die Suche nach Freude kann auch schwierig sein. Es geht in meinem Stück um die Suche nach Vergnügen und darum, dafür zu kämpfen. Das hat auch etwas politisches.
Inwiefern?
Für mich ist es ein politischer Akt, das Vergnügen auf der Bühne zu feiern und auch auszuleben. Vor allem das Publikum einzuladen, darüber zu reflektieren. Nicht in eine bestimmte Richtung, sondern ganz frei.
Woran finden Sie Vergnügen?
Freude ist in allen Dingen zu finden, auch in den schwierigsten Situationen. Darum geht es. Wir brauchen Leichtigkeit!
Sie sagen, man sollte auch die Freude am Überfluss für sich beanspruchen. Was meinen Sie damit?
Wir sollten uns erlauben, selbst der Überfluss zu sein, aber nicht im ökonomischen Sinne. Es geht um Übertreibung und Übermaß, darum „too much“ zu sein – wie in Barockzeiten. Wir sollten uns diesen emotionalen Luxus erlauben.
Ist die Suche nach Vergnügen gesellschaftliches Tabu?
Wir lassen uns zu einer Prüderie verleiten. Wir glauben, es könne gefährlich sein, sich dem Genuss hinzugeben oder der Lust im Körperlichen.
Klingt wie ein Aufruf, sich auch sexuell dem Überfluss hinzugeben.
Vergnügen hat viel mit Sex zu tun, aber darüber wird wenig gesprochen. Wir sollten uns frei fühlen und stolz darauf sein, die eigenen Gelüste ausleben zu können.
Aber?
Aber wir lassen uns von der Gesellschaft einschränken – sowohl im Sexualleben als auch in der Art, wie wir darüber sprechen. Ich hoffe, dass wir diese Konventionen lockern und uns künftig offen fragen, was unsere Bedürfnisse sind.
Warum ist das so schwierig?
Über Sex, Vergnügen und Überfluss zu reden, ist schwierig und macht auch angreifbar. Es legt unsere Verwundbarkeit offen – und das macht vielen Angst.
INTERVIEW: Anna Gröhn
Theaterstück „Season“: Premiere um 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20
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