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„Die Menschen brauchen Hilfe“

UNTERSTÜTZUNG Julia Weßel und Nelli Khorrami fahren am Sonntag nach Idomeni, um den dort gestrandeten Geflüchteten zu helfen. Ein Plan, der auch Kritik hervorruft

Camp in Indomeni: Rund 15.000 Menschen warten an der Grenze zu Mazedonien auf die Chance, ihre Flucht fortzusetzen Foto: Yannis Kolesidis/dpa

INTERVIEW ANNA DOTTI

taz: Frau Weßel, Frau Khorrami, wieso haben Sie sich entschieden, nach Idomeni zu fahren?

Julia Weßel: Das schwebt uns schon länger in Kopf herum. Man trifft sich immer mit anderen Ehrenamtlichen und redet darüber. Ich wollte eigentlich gerne für zwei Wochen auf die griechische Insel Lesbos fahren. Dann meinte Nelli, dass sie das auch schon überlegt hatte. So beschlossen wir, zusammen zu fahren. Das ist besser als alleine. Und wegen der jetzigen Situation haben wir uns für das Flüchtlingslager im griechischen Idomeni an der mazedonischen Grenze entschieden.

Nelli Khorrami: Wir sind ziemlich flexibel. Wenn die Situation sich verändert, können wir einfach woanders hinfahren. Zum Glück dürfen wir Grenzen überqueren: So privilegiert sind wir als Europäerinnen.

Wieso fahren Sie nur zu zweit?

Nelli Khorrami: Wir sind keine Organisation, haben auch keine politische Verbindung, sind wirklich nur ehrenamtliche Helfer. Und vor Ort gibt es schon viele Leute, die helfen, wir werden uns nur anschließen.

Julia Weßel: Eigentlich wollten viele Leute mitkommen, aber nicht alle können sich den Flug leisten oder sie haben die Zeit nicht.

Gibt es in Hamburg nicht genug in der Flüchtlingshilfe zu tun?

Julia Weßel: Ich arbeite fast jeden Tag mit Flüchtlingen in Hamburg-Bergedorf. Man trifft da die Menschen, die genau diesen Weg hinter sich haben, und hört, was sie erlebt haben. Es trifft mich persönlich. Zudem lieben diese Menschen unser Land, sie wollen wirklich hier bleiben. Diese ganze Liebe sollten wir auch verdienen.

Nelli Khorrami: Man denkt jetzt: Wer, wenn nicht wir? Die in den Anzügen machen das nicht und die Ehrenamtlichen in Idomeni haben uns auch direkt nach Hilfe gefragt.

Mit wem haben Sie in Griechenland Kontakt?

Nelli Khorrami: Es gibt eine Facebook-Gruppe, die „Information Point for Idomeni Volunteers“ heißt. Über die haben wir Leute kennengelernt, die da schon länger ehrenamtlich arbeiten. Sie sind total dankbar, dass wir kommen. Sie haben uns schon Schlafplätze in einer Wohnung besorgt, die wir mit einer anderen Gruppen von Freiwilligen teilen werden.

Julia Weßel: Wir haben haben das Gefühl, dass wir die Leute dort kennen, weil wir schon so viel kommuniziert haben.

Foto: privat
Nelli Khorrami

34, die Hamburgerin stammt aus einer deutsch-afghanischen Familie und arbeitet als Social Media Managerin.

Wo werden Sie genau arbeiten?

Nelli Khorrami: Wir werden erst mal in die Nähe von Idomeni gehen. Dort gibt es ungefähr 15.000 Menschen, die praktisch auf einem riesigen Campingplatz zelten. Das ist kein Camp von der griechischen Behörde. Der griechische Staat hat zwar in der Nähe eigene Camps eingerichtet und versucht, die Leute dort unterzubringen. Aber im Moment ist die Hoffnung der Menschen so groß, die Grenze doch noch überschreiten zu können. Darum bleiben sie in dem überfüllten Lager in Indomeni.

Julia Weßel: Man muss wissen, dass die richtigen Camps auch nicht wie die in Hamburg sind. Es gibt fast nur Zelte, keine Container oder so. Es sind einfach nur Sammelstellen, an denen Wasser verteilt wird und es Dixi-Toiletten gibt.

Was werden Sie dort machen?

Julia Weßel: Wir werden praktisch helfen und besonders für einige Iglu-Zelte – ungefähr 20 Quadratmeter groß – verantwortlich sein. Diese Zelte werden von der Organisation More than Shelters quasi zeitgleich mit uns geschickt. Wir werden die Zelte der Organisation Nurturer Project übergeben. Die werden sich darum kümmern, dass etwa Mütter ihre Babys in den Zelten stillen können.

Nelli Khorrami: Ansonsten werden wir die Menschen unterstützen, die unter Regen, Kälte und Hunger leiden. Wir werden Hilfsgüter verteilen, dank des Geldes, das wir jetzt sammeln.

Wie viele Spenden haben Sie schon gesammelt?

Nelli Khorrami: Wir haben ungefähr 8.000 Euro über die Seite Betterplace gesammelt. Und man kann immer noch Geld spenden.

Julia Weßel: Wir sammeln seit ungefähr einer Woche Geld. Schon am ersten Tag hatten wir ungefähr 3.000 Euro zusammen.

Wie haben Sie so ein gutes Ergebnis erzielt?

Foto: privat
Julia Weßel

23, kommt aus Münster, studiert BWL. Zurzeit leitet sie eine Kinderbetreuung für geflüchete Kinder.

Nelli Khorrami: Die Facebook-Verbreitung hat uns wirklich sehr geholfen, so wie die Organisationen, mit denen wir hier in Kontakt sind, etwa Refugees Welcome Karoviertel, eine Hilfsorganisation in Hamburg.

Julia Weßel: Wir waren selbst total überrascht. Alle unsere Freunde haben Geld gespendet, aber auch Leute aus dem Ausland, die wir gar nicht kennen.

Gibt es auch Kritik an Ihrem Plan?

Julia Weßel: Ja, manche Leute behaupten, wir unterstützen so das System. Sie sagen zum Beispiel, freiwillige Helfer sollten nicht die Arbeit der Politiker machen. Dieses Gespräch hatten wir auch schon hier in Hamburg. Aber gerade in Griechenland ist so was gar nicht möglich, die Menschen dort brauchen Hilfe.

Nelli Khorrami: Es sieht nicht aus, als ließe sich die Situation kurzfristig auf politischer Ebene lösen. Wir müssen zumindest was auf der humanitären Ebene machen.

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