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Flüchtlinge und Bildungsbürger

Widerspruch Der Buchhandel setzt sich „für das Wort und die Freiheit“ ein. Und zeichnet zugleich den Historiker Heinrich August Winkler aus, der der Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik Nationalismus unterstellt

aus Leipzig Andreas Fanizadeh

Der Eröffnungsabend der Buchmesse im Leipziger Gewandhaus steht traditionell im Zeichen einer Selbstvergewisserung der Werte. Der Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, klingt dieses Jahr für seine Verhältnisse fast schon aktionistisch. Er ruft die Versammelten aus Buchbranche und Politik, die sich an diesem Mittwoch versammelt haben, dazu auf, deutlich Flagge für die Demokratie zu zeigen. Auf sein Zeichen erhebt sich das Publikum zum Fotoshooting. Hunderte strecken vorgefertigte Pappschilder in die Höhe. Auf denen steht: „Für das Wort und die Freiheit“.

Durch alle Reden zieht sich die Sorge vor dem neuen Rassismus in Europa, sehr unterschiedlich ist dabei der Bezug auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) versucht, sich als Kommunalpolitiker klar zu äußern: „Unser Problem heißt nicht Flüchtlingskrise, sondern Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.“ Und, das ist wohl an den später am Abend ausgezeichneten Historiker Heinrich August Winkler gerichtet: „Wir vor Ort in den Kommunen und den Städten haben eine Antwort darauf: Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft“, sagt Jung.

Auf AfD und Pegida nimmt auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) Bezug. Seine Rede zeigt, wie sehr die Politik gerade im Osten unter Druck steht, wo in einzelnen Kommunen neben den Flüchtlingen längst auch demokratische Amtsträger angegriffen werden. Er mahnt das Engagement der Zivilgesellschaft an – „die eigene Verantwortung endet nicht am heimischen Bücherregal.“ – „Wir haben in der DDR erlebt, wie sehr es auf das Engagement der Bürger ankommt und wie hilfreich eine Bestärkung von außen ist,“ sagt Tillich. Im Kampf gegen den Rechtspopulismus müsse man die demokratischen Parteien und Organisation attraktiver machen, damit sich mehr Menschen aktiv beteiligten.

Im benachbarten südlichen Teil von Sachsen-Anhalt sind am Wochenende sämtliche Wahlkreisen an die AfD gegangen.

Der erste Preis dieser Buchmesse geht an den 1938 in Königsberg geborenen Heinrich August Winkler. Der Historiker wird für seine vierbändige „Geschichte des Westens“ geehrt. Laudator Volker Ullrich, einst Redakteur der Zeit, hebt hervor, was unstrittig ist: Winkler gehöre zu bedeutenden Historikern der Bundesrepublik.

Ansonsten befleißigt sich Ullrich in seiner Laudatio genau jenes Vokabulars, weswegen Winkler mitunter selbst wie das bildungsbürgerliche Sprachrohr der AngstbürgerInnen erscheint. Er bejaht Winklers Thesen einer angeblichen „deutschen Sondermoral“ im Zuge von Merkels Flüchtlingspolitik: „Wie hochempfindlich unsere Nachbarn in Europa immer noch reagieren, wenn sich Deutschland als moralischer Lehrmeister aufspielt, das hat gerade in jüngster Zeit die Auseinandersetzung um die Flüchtlingskrise gezeigt,“ meint Ullrich. In dieser Sicht stehen nicht die nationalistischen unter den EU-Mitgliedstaaten in der Kritik, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, sondern eine Kanzlerin, die die Grenzen im Spätsommer 2015 öffnen ließ.

Und Winkler, was sagt der Meister selbst? Er legt in Leipzig in seiner Kanzlerinnen-Schelte nach, die er seit September immer wieder vorgebracht hat. „Eine humanitäre Asylpolitik, die nachhaltig sein will, muss darauf achten, dass die Bedingungen ihrer Möglichkeit auch morgen und übermorgen noch gesichert sind“, so Winkler. „Zu diesen Bedingungen gehört nicht nur die Beachtung der Grenzen der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit, sondern auch der politische Rückhalt in der Bevölkerung.“

Dann behauptet Winkler einmal mehr, der eigentliche Nationalismus stecke in Merkels Offenheit gegenüber den Flüchtlingen, „die von unseren Nachbarn als selbstgerecht und anmaßend empfunden wird – als ein Versuch, zumindest auf dem Gebiet der Asylpolitik ein ‚deutsches Europa‘ zu schaffen.“

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