Will noch die Wasserzuleitung vom Keller in das neue WC des Oldenburger Poly-Hauses legen: der Künstler Michael Olsen   Foto: Grit Monien

Wenn alle mit anpacken

Renovierung Bevor das Poly-Haus in der Oldenburger Innenstadt zu einem alternativen Kulturzentrum werden kann, muss die Genossenschaft Polygenos es gründlich sanieren. Dafür wählt sie eine ungewöhnliche Lösung. Ein Besuch auf der Baustelle

von Manuela Sies

Noch sieht das Oldenburger Poly-Haus wie ein Würfel aus verwittertem Backstein und Putz aus. Fast geduckt steht es neben Hotel- und Bürogebäuden zwischen Pferdemarkt und Lappan. Verglichen mit seinen neugebauten Nachbarn aus Stahl und Glas fällt der 60er-Jahre-Bau regelrecht aus der Reihe. Das liegt auch daran, dass lange nichts an ihm gemacht wurde –bis die Genossenschaft Polygenos kam und es rettete, um es als alternatives Kulturzentrum zu erhalten.

Gut zwei Jahre ist das her. Seitdem saniert sie das Gebäude nach und nach. Nun beginnt auch das äußerliche Makeover: Ein Baugerüst legt sich wie ein Korsett um die Mauern. Blaue Netze verhängen den Blick auf die Fassade. Es ist alles vorbereitet für die Außensanierung und Wärmedämmung. Der alte Backstein soll vergoldeten Aluschindeln weichen.

„Die Handwerker fangen jetzt mit den Arbeiten an“, sagt Katharina Dutz. Eigentlich ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Oldenburg. Bei Polygenos gehört sie zum Vorstand und begleitet die Sanierung. Sie will sich noch umschauen, bevor es mit der Familie ins Museum geht. Es ist Sonntagmittag, die Außenarbeiten ruhen. Aber es ist „Anpacker-Tag“ bei Polygenos. So heißt die Truppe aus Freiwilligen, die parallel den Innenumbau stemmt. Dutz passiert die Schleuse in den Bauzäunen, die das Grundstück gerade einfassen, und betritt das Treppenhaus. Die Anpacker sind hier schon längst gewesen, genauso wie im ersten Stock, der an eine Filmagentur vermietet ist. Das zeigen die renovierten Wände und Böden. Aber in den Etagen darüber rumpelt, scharrt und wuselt es. Katharina Dutz macht sich auf den Weg in den dritten Stock und geht an die Spitze des Baugerüsts. Sie lugt in die Räume, grüßt die Anderen. Hier kennt man sich.

„Jedes Mal wenn ich hier bin, ist es anders“, sagt sie. Aber jetzt will sie zeigen, bis wohin das Schindelkleid einmal reichen wird. Oben angekommen, zeigt sie auf die künftige Dachterrasse. Auch die soll noch Gestalt annehmen, derzeit hat sie weder Bodenbelag noch Geländer. „Statt eines Geländers fassen wir die Terrasse mit einer Mauer ein“, sagt Dutz. Dadurch verlängere sich die Fassade. Angefangen ab einer Höhe von drei Metern reichen die Schindeln später also bis hier hoch und laufen seitlich bis zum Dach. Dahinter kommt die Wärmedämmung. Von der Terrasse aus wird man die oberen Schindeln berühren können. „Das wird wie das Schuppenkleid von einem Fabeltier.“

Diese Verkleidung ist der Genossenschaft viel Geld wert. Die Variante kostet zunächst 50.000 Euro mehr als ein konventionelles Dämmsystem. Das ist ein großer Posten bei einem Budget von 180.000 Euro für die gesamte Sanierung. Hinzu kommt, dass die Genossenschaft möglichst mit eigener Kraft und ohne Kredite hinkommen will. Die Idee dazu entstand im Sanierungsrat der Genossenschaft, dem auch Dutz angehört. Ein Jahr lang suchte man nach der passenden Lösung. Sie sollte für alle Polygenos-Mitglieder annehmbar und nachhaltig sein. All das vereinen die Schindeln, findet Dutz. „Zum Beispiel brauchen sie die nächsten 50 bis 100 Jahre keine Sanierung und es setzt sich auch kein Moos oder ähnliches ab.“

Die hohen Anfangskosten soll eine Aktion abfangen: Wer will, kann für 30 Euro eine Schindel kaufen und stiften. Dafür muss man weder Mitglied bei Polygenos sein noch in Oldenburg wohnen. Katharina Dutz setzt dabei auf die rund 860 Genossen und Genossinnen. „Wenn jeder nur eine Schindel kauft, haben wir schon 50 Prozent finanziert“, sagt sie. Sie hofft auch auf die Unterstützung von außen.

Aber passt das luxuriöses Gold überhaupt zu einer Genossenschaft, die ein altes Haus retten und zum alternativen Kulturzentrum machen will? „Wir wollen einen Kontrapunkt setzen“, erklärt Dutz. Dabei schaut sie hinaus auf das größere Hotel, an das sich das Poly-Haus lehnt. Es ist aus grauem Stahl. „Es hätte auch Dunkelgrau werden können, aber das wäre ja die Fortsetzung zu den Nachbarhäusern gewesen.“

Gold habe auch etwas Ausstrahlendes, Reflektierendes, findet sie: „Und wir möchten reflektieren und etwas in die Stadt ausstrahlen.“ Kahtarina Dutz blickt jetzt wieder über die Dachterrasse auf Oldenburg. Sie meint damit auch die Philosophie, nach der die Genossenschaft das Haus mit Leben füllt und gestaltet. Das Poly-Haus soll zu einem Raum für alternative Stadtkultur werden, in dem sich Menschen austauschen, Ausstellungen, Diskussionen und kreative Projekte stattfinden können.

„Es geht darum, jenseits von ökonomischem Kosten-Nutzen-Kalkül das Haus gemeinsam zu beleben und die Stadt kulturell zu bereichern“, sagt Dutz. Etwas, das der zweite Teil der Verkaufsaktion aufnimmt. Wer eine Schindel schenkt, kann sie auf der Polygenos-Website mit einem virtuellen Wunsch für Oldenburg, Polygenos oder das Haus versehen. Erste Schindeln sind schon verkauft und Wünsche geäußert. Im Netz lassen sie sich ansehen.

Bis Herbst sollen alle Wünsche gesammelt werden. Geplant ist, sie der Stadt zu übergeben. Bisher kam die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum auf, eine verträgliche Verkehrsplanung und Gemeinschaftsgärten. Aber auch der Wunsch nach noch mehr Poly-Häusern und kluger Stadtentwicklung mit Raum für kreative Kulturräume und Projekte.

Im Poly-Haus bieten diesen Raum später die „Kultur- und Kommunikationsräume“. Sie liegen ein Stockwerk unter der Dachterrasse. Polygenos will sie flexibel und zu fairen Preisen vermieten. Heute regieren hier aber noch die Anpacker, koordiniert von Künstler Michael Olsen. Er kniet auf dem Boden, den Kopf dicht unter einem Fensterbrett. „Was ist das denn?“ Er kriecht noch etwas näher. Das Ventil eines Heizkörpers tropft und hat eine Pfütze hinterlassen. Mit einer Zange dreht er das Ventil zu.

„Kaputte Dichtung, das passiert“, sagt Olsen und bevor er überhaupt ausgesprochen hat, ist er schon wieder auf den Füßen, und in Gedanken bei der nächsten Aufgabe. Die Heizungsventile sind heute nur ein Punkt auf einer längeren Liste des Teams. Am anderen Ende des Raumes bearbeiten zwei Helfer Türen mit Schleifpapier, nebenan im Flur lässt ein weiterer die Farbrolle über die Wand schmatzen. Hier passiert das meiste in Eigenleistung, das meiste läuft ehrenamtlich. Nur Spezialaufträge wie die Elektrik oder die Fassadensanierung gingen an Fachfirmen.

Michael Olsen will noch die Wasserzuleitung vom Keller in das neue WC legen. Er geht den Flur hinunter in das Badezimmer, wo die alten rosa Fliesen schon entfernt sind. Auch Badewanne, Waschbecken und Toi­lette sind gewichen. „Nur die Wand muss noch aufgestemmt werden.“ Die Atemschutzmaske gegen den Staub baumelt schon um seinen Hals, aber das kommt später. Es muss noch Werkzeug her.

„Uns fehlen Quirl, Meißel und Hammer“, sagt er und überlegt, was sonst noch gebraucht wird. Für die Arbeiten stellt er das Werkzeug aus seiner Künstlerwerkstatt zur Verfügung. Gleich will er noch mit dem Rad losfahren, um zu besorgen, was noch so fehlt. Er ist einer, der alles sieht, der Tempo vorlegt. Weil er hinter dem Projekt steht. „Das hier ist ein Vorbild, wie man mit einem Haus umgehen kann, statt es abzureißen und neu zu bauen“, sagt er. So ein Gebäude sei eben nicht nur Nutzobjekt, sondern auch Material, Treffpunkt, Kulturraum. Olsen hat schon das fertige Poly-Haus im Kopf. „Ich sehe es Scheibe für Scheibe wie eine MRT-Aufnahme vor mir.“ Deshalb hängt er sich rein, weil er mitgestalten will. „Ich will Dinge hinterlassen, die ich anfassen kann.“

Das Besondere daran ist, das etwas nachwirkt. Diesen Antrieb teilen Katharina Dutz und Michael Olsen. Sie und ihre Mitstreiter wollen ein Haus mit Charakter schaffen, von innen wie von außen. Damit es weiter Gestalt annimmt, hoffen sie auf den Erfolg ihrer Aktion. Olsen hat bisher zwei Schindeln gekauft. „Ich wünsche mir, dass die Radwegebenutzungspflicht im ganzen Stadtgebiet aufgehoben wird und dass Oldenburg bald wieder den Menschen gehört, um darin zu leben, und nicht den Fahrzeugen, um darin zu fahren“, sagt er.

Auch Katharina Dutz hat eine Schindel erstanden und eine weitere verschenkt. Nur einen Wunsch hat sie noch nicht geäußert: „Da war ich etwas unkreativ, aber ich hole das noch nach.“

Vielleicht wird es ein Wunsch für Polygenos, denn Dutz erhofft sich durch die Aktion noch mehr Unterstützer für die Genossenschaft und das Poly-Haus. „Im besten Fall haben wir am Schluss so viele Mitglieder wie Schindeln.“ Vielleicht steht dieser Satz bald auf einer ihrer Schindeln.