Philipp Gessler über den jüngsten Missbrauchsfall im Vatikan: Verdrängen und vertuschen
Dass der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche kein kleiner Betriebsunfall war, den man schnell mal bedauern kann, um möglichst rasch wieder zur Tagesordnung zurückzukehren – zu dieser Erkenntnis kommen manche Oberhirten in der Weltkirche offenbar nur langsam oder vielleicht auch nie.
Das jüngste Beispiel ist der australische Kurienkardinal George Pell, der regelrecht gezwungen werden musste, vor einer australischen Untersuchungskommission zu Missbrauchsfällen in seiner früheren Heimat auszusagen, und zwar per Videokonferenz vom sicheren Rom aus. Deutlich wurde, dass Pell das gemacht hat, was die meisten Oberen in der Kirchenhierarchie viel zu lange bei Verdacht des Missbrauchs von Kindern durch Priester ihrer Kirche getan haben: verdrängen, kleinreden, vertuschen.
Schon vor knapp einem Jahr hatte ein Mitglied der erst 2014 eingerichteten päpstlichen Kinderschutzkommission gewarnt, Pell sei „unhaltbar für den Vatikan“ - Konsequenzen aus dieser Warnung aber gab es keine. Der bullige Kardinal konnte sich in der Spitze der Kurie halten, sowohl als Mitglied der Gruppe von acht Kardinälen, die den Papst beraten, als auch als eine Art Vatikan-Finanzchef, der die Kurienreform voranbringen soll. Dass er im vergangenen Herbst bei der großen Welt-Familiensynode im Vatikan auch als theologisch und kirchenpolitisch reaktionärer Hardliner und Störenfried auffiel, macht die Sache nicht besser.
Was aber hält ihn, warum sägt der sonst so reformfreudige Papst Franziskus Pell nicht endlich ab? Entweder, weil er den rechten Flügel der Kirche, dessen Symbolfigur Pell ist, nicht noch weiter verprellen will. Oder weil Pell in der Kurie zu mächtig ist. Oder weil Papst Franziskus die Dimension des Missbrauchsskandals immer noch nicht verstanden hat. Auch wenn Letzteres unwahrscheinlich ist: Der Papst muss handeln. Pell ist reif. Er muss weg.
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