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Die Gleichheitsillusion

Hausarbeit Moderne Paare wollen alles gerecht teilen: Kinderbetreuung, Pflege, Geld. Doch das passiert nicht. Im Gegenteil: Manche Frauen ernähren die Familie und kümmern sich trotzdem um Wäsche, Putzen, Einkauf

Von Cornelia Koppetsch undSarah Speck

Frank Maus, 37, und Lisa Müller, 32, wollen ein Paar sein, dass alles gerecht teilt: Haushalt, Kinderbetreuung, Geld. Beide sind Architekten, sie leben mit ihrem einjährigen Kind in Berlin. Beste Voraussetzungen also für einen absolut egalitären Alltag.

Da ist nur ein Problem: Lisa verdient monatlich rund 2.000 Euro, Frank nur etwa 400. Frank kann als Architekt nicht so richtig Fuß fassen und versucht es als selbstständiger Handwerker mit kreativen Auftragsarbeiten. Kurz: Lisa ernährt die Familie. Doch das Paar versucht den Anschein zu erwecken, alles gemeinsam zu organisieren und zu bezahlen. Wie geht das bei diesem Gehaltsunterschied?

Frank gibt vor, sich von Lisa Geld zu leihen und ihr es später zurückzugeben, wenn er wieder mehr hat. Lisa aber scheint das zu vergessen, sie erinnert ihn jedenfalls nie an die Rückzahlung. Auf diese Weise kon­stru­iert das Paar keine Gleichheit, sondern lediglich eine Gleichheitsillusion: Frank ist nur dem Anschein nach nicht finanziell abhängig von Lisa, und Lisas materielle Überlegenheit wird verschleiert.

Nun erklärt Frank gern, Lisa sei einfach zu ehrgeizig und müsse nicht immer so „he­rum­rödeln“. Die Familie komme auch mit weniger Geld gut aus, Lisa solle doch mal so gelassen sein wie er. Das ist fatal. Denn auf diese Weise wertet Frank seine eigene Rolle als „alternativer Handwerker“ auf, Lisas beruflichen Einsatz hingegen ab.

Und die Kinderbetreuung? Wird auch nicht so gerecht verteilt, wie Frank und Lisa das vorgeben. Lisa kümmert sich mehr als Frank, manchmal helfen ihre Eltern. Das Ergebnis: Lisa übernimmt zwei Rollen, die als Familienernährerin und die als Familien- und Hausfrau.

Haushalt bleibt Frauensache

Das Fazit: Viele Paare wünschen sich heute, egalitär zu leben. Doch es gelingt ihnen nicht. Die Hausarbeit bleibt im Wesentlichen Frauensache – selbst bei kinderlosen Paaren. Ausgerechnet in privaten Beziehungen, die doch gemeinhin als Angelegenheit der freien Gestaltung und der Gleichheit gelten, halten sich traditionelle Rollen besonders hartnäckig. Frappierend ist dabei, dass die meisten Paare das Scheitern ihres Selbstanspruchs nicht anerkennen, sondern weiterhin in dem Glauben leben, eine gleichberechtigte Beziehung zu führen.

Cornelia Koppetsch

geboren 1967, ist Soziologin und Professorin an der TU Darmstadt. Ihre Schwerpunkte sind Bildung, Arbeit und Sozialstruktur sowie Familien- und Geschlechterforschung. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Sarah Speck hat sie das Buch „Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“ geschrieben, auf das sich die beiden Autorinnen im Text beziehen.

In einer Studie, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, sind wir durch Interviews mit heterosexuellen Paaren, bei denen die Frau das Haupteinkommen verdient, dieser Lebenslüge auf den Grund gegangen. Bei zehn Prozent aller Paare in Deutschland verdient die Frau mehr als der Mann. Aufgrund wachsender Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt, von der zunehmend Männer betroffen sind, könnte dieser Anteil steigen.

Denkbar wäre in solchen Konstellationen, dass der Mann die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinder übernimmt – so wie in umgekehrten Fällen die Frau. Dieser Rollentausch findet aber bei den meisten der befragten Paare nicht statt. Im ländlichen Milieu der Arbeiter und Handwerker ist er von vornherein nicht vorgesehen.

Doch auch bei den akademisch gebildeten Großstädtern, den Paaren aus dem sogenannten individualisierten Milieu, Männern und Frauen aus Kultur- und Medienberufen, der Wissenschaft und anderen krea­tiven Jobs, haben wir ihn nicht gefunden. „Wenn einer mehr Geld verdient als der andere, heißt das nicht, dass der andere mehr im Haushalt tun muss“ – so lautet die einhellige Meinung dieser Paare. Noch viel erstaunlicher ist, dass sich diese Paare die Arbeit im Haus und mit den Kindern nicht gleichmäßig teilen. Vielmehr kümmern sich die Frauen zusätzlich darum. Trotzdem haben die Paare den Eindruck, eine gleichberechtigte Beziehung zu führen.

Die Paare verhalten sich so, wie es ihrem Leitbild von Gleichheit entspricht. Die Frauen zögern, ihre Position als Hauptverdienerin allzu deutlich auszuspielen oder mehr Engagement bei der Haus- und Sorgearbeit zu verlangen. Eher stellt man eine Putzfrau ein, um Konflikte zu vermeiden. Partnerschaft bedeutet für sie, den anderen nicht an seiner beruflichen Selbstverwirklichung zu hindern. Und das gilt erst recht in Zeiten persönlicher Krisen. Je schlechter die Karriereperspektive eines Mannes ist, desto intensiver muss er sich um sein Fortkommen kümmern.

Paradoxerweise machen sich die Frauen weniger Sorgen um ihre eigene Gleichberechtigung, sie haben vor allem ihren Mann in Blick: Sie möchten den Eindruck vermeiden, der Mann werde beruflich benachteiligt. Umgekehrt wäre das wohl kaum denkbar.

Gleichheitsillusionen gehö­ren zum privaten Alltag der meisten Paare. Sie zeigen sich aber auch deutlich im Berufsalltag. So sind es häufig die Frauen, die im Team die „Hausarbeit“ übernehmen, sich also Gemeinschaftsaufgaben widmen, Liegengebliebenes erledigen, eine kollegiale Atmosphäre herstellen oder Konflikte schlichten.

Sarah Speck

geboren 1981, ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung der Universität Darmstadt. 2015 hatte sie eine dreimonatige Vertretungsprofessur an der Universität Tübingen mit dem Schwerpunkt Geschlechterverhältnisse übernommen. Sarah Speck ist in Bad Oldesloe geboren und wohnt in Berlin.

Im Büro entwickeln sich nicht selten Rollenzuschreibungen, unbemerkt und ohne diskriminierende Absicht. Sie sind vielmehr Resultat impliziter Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. So werden Kompetenzen wie Durchsetzungsfähigkeit, Sachlichkeit und Ehrgeiz als männliche karriere­bestimmende Verhaltensmuster beschrieben. Während Frauen mit Eigenschaften wie Kompromissbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit oder Kollegialität in Verbindung gebracht werden, die zumeist weniger karriereförderlich sind.

Ungleichheit nicht erkannt

Dass die daraus resultierenden Geschlechterungleichheiten als solche meist gar nicht wahrgenommen werden, ist ein wesentlicher Grund dafür, dass es so schwerfällt, grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Rechtlich verankerte Diskriminierungsverbote und Frauenbeauftragte, die ja auf die Gleichbehandlung von Frauen und Männern hinarbeiten, können jedenfalls dann nichts ausrichten, wenn die Ungleichbehandlung von den Betroffenen nicht einmal wahrgenommen wird.

Und hier schließt sich der Kreis: Warum sollten sich Männer stärker an Haus- und Sorgearbeit beteiligen, wenn es doch allein die Frauen sind, die ein Vereinbarkeitsproblem zu haben scheinen? Während das männliche Engagement stets freiwillig eingebracht und auch von den Frauen nie anders als eine außergewöhnliche Zugabe betrachtet wird.

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