piwik no script img

„Platte nicht als wertlose Architektur abtun“

MUF Neben Containerdörfer will der Senat richtige Wohnungen für Flüchtlinge in Modularbauweise – MUFs genannt – bauen lassen. Aber was heißt das eigentlich? Wie und womit wird da gebaut? Die taz hat nachgefragt. Ein Gespräch mit Architekt Stefan Zappe

Interview Plutonia Plarre

taz: Herr Zappe, was genau ­bedeutet „Modularbauweise“?

Stefan Zappe: Der Fachbegriff dafür ist eigentlich „elementierte Bauweise“, im Volksmund als Platte bekannt. Anders als bei der herkömmlichen Skelettbauweise werden beim elementierten Bauen fertige Elemente zusammengefügt. Decken, Wände, Treppenhäuser – alles kommt vorgefertigt aus dem Werk. Auf der Baustelle werden die Elemente nur noch zusammengesetzt. Man muss sich das wie ein Steckkastensystem vorstellen.

Was ist der Vorteil?

Man muss länger planen, weil jeder Kabelschacht und jede Tür- und Fensteröffnung in den Wänden für die Fertigung im Werk festgelegt sein muss. Der große Vorteil ist, dass bei auf elementiertem Bauen abgestimmter Planung Bauen kostengünstiger und deutlich schneller sein kann. Darum ist der Gedanke des elementierten Bauens heute auch so aktuell. In der politischen Diskussion heißt es ja nur noch: schnell, schnell, schnell. Die Plattenbauten sind in der DDR-Zeit ja auch deshalb entstanden, weil es Wohnungsmangel gab.

Und das macht die Platte trotz ihres schlechten Rufs wieder hoffähig?

Städtebaulich war die Platte eine Katastrophe. In der DDR wurde ohne Rücksicht auf Verluste gebaut. Stichwort: Gigantonomie, menschenleere Flächen zwischen den Häusern, Monostrukturen. Aber das ist kein Problem des Plattenbaus an sich. Das haben wir im Westen genauso wie im Osten: Nach dem Krieg sind die Städte unter dem Gesichtspunkt der autogerechten Stadt gebaut worden. Heute wissen wir: Das ist lebensfeindlich. Solche Siedlungen wie damals wären heute in unserem gesellschaftlichen Konsens nicht mehr möglich.

Worauf wollen Sie hinaus?

Wir sind längst zurückgekehrt zu den Strukturen der alten Stadt. Wir lieben wieder die klassische Straße als Begegnungszone. Das kleine Café um die Ecke … Und trotzdem sind wir froh, dass wir diese Architektur der Plattenbauweise haben. Sie muss nur einem neuen Sinn zugefügt werden. Ich verstehe das als Herausforderung und nicht als Rückkehr zu den Nachkriegsmonostrukturen.

Was lehrt uns das in Bezug auf die Standortwahl für die künftigen Modularbauten für Flüchtlinge, die sogenannten MUFs?

Berlin ist eigentlich gut aufgestellt, weil es immer wieder Freiflächen in diesem Amalgam der Stadt gibt. Jede Brache für sich ist unterschiedlich. Man muss deshalb immer von dem Einzelort als solchem ausgehen und gucken, was da die optimale Bauweise ist? Man kann das elementierte Bauen oder auch das modulare Bauen nicht als neue Heilsbotschaft für alles verkaufen. Es wird komplizierte Brachen in der Innenstadt geben, wo elementiertes Bauen in seinem System nicht machbar ist. In solchen Fällen muss man auf die klassischen Methoden zurückgreifen.

Auch der Campus Ohlauer Straße, der auf dem Gelände der früheren Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg geplant ist, soll in elementierter Bauweise entstehen. Ihr Büro hat für die Howoge den Entwurf erarbeitet. Wie kam es dazu?

Auslöser ist ein ­Förderprogramm des Senats, Siwa genannt. An dem wollte sich der Bezirk Kreuzberg zusammen mit der Howoge beteiligen. Bei der Suche nach Architekten ist man auf uns gestoßen. Wir haben so etwas in der Art schon mal gebaut, wenngleich nicht in der Größe.

Bitte erzählen Sie.

Stefan Zappe

59, hat an der TU Berlin Architektur studiert. Seit 1995 ist Zappe selbstständig. In seinem Büro in der Torstraße in Mitte hat er sieben Mitarbeiter.

Vor circa zehn Jahren haben wir für eine Firma in Köpenick ein Labor- und Verwaltungsgebäude errichtet für ein sogenanntes Start-up-Unternehmen, das damals weder Geld noch Zeit hatte, aber eben wuchs. In meinem Büro wurde die Idee geboren: Dann bauen wir eben eine Platte hin. Das war das absolut günstigste Gebäude, das wir je gebaut haben, in der absolut schnellsten Zeit. Wenn man es in Massiv gebaut hätte, wäre es mit Sicherheit 20 bis 30 Prozent teurer geworden.

In welchem Zustand ist das Gebäude heute?

Es sieht fast wie neu aus. Die Fassade ist in gesäuertem Beton, dunkelgrau. Dass das ein absolutes Low-Budget-Projekt war, ist überhaupt nicht zu erkennen.

Was ist über die Lebensdauer von Häusern in Elementarbauweise bekannt?

Man setzt für so ein Gebäude hundert Jahre an. Das ist vor allem eine Frage der Wartung. Die Fugen, wo die Elemente zusammengesetzt werden, müssen besonders gewartet werden. Die Fassade besteht üblicherweise aus Beton. Der Beton wird nicht zerfallen. Er ist sehr robust. Ich gehe aber mal davon aus, dass auch die Wohnungsbaugesellschaften, die einen Teil der MUFs bauen, großes Interesse an dauerhaften Gebäuden haben. Immerhin handelt es sich hier ja auch um einen Bestandteil des sozialen Wohnungsbaus. Das heißt, alle in Deutschland geltenden Vorschriften müssen erfüllt werden: vom Wärmeschutz über den Schallschutz bis hin zur Bauphysik.

Herrscht in der Architektenszene derzeit eigentlich so etwas wie Goldgräberstimmung, weil in Berlin so viel gebaut wird?

Im Kessel ist unheimlich Druck. Überall wird über neue Projekte diskutiert. Den Boom gibt es, aber ich würde nicht sagen, dass er allen Architekturbüros in Berlin unfassbar viel Arbeit beschert. Dazu kommt: Wir sind gar nicht gewohnt, plötzlich in so schnellen Zyklen zu denken. Die Bedingungen sind gar nicht dazu geschaffen, Großprojekte so schnell bauen zu können.

Worauf ist das zurückzuführen?

Das liegt nicht nur an den Behörden und an der Politik, sondern auch am fehlenden gesellschaftlichen Konsens. Beim Bauen kommen unheimlich viele Menschen zusammen. Und da ist das Planungs- und Baurecht, das die ganzen Abläufe verlangsamt. Jede kleine Fläche, die ausgesucht wird, muss hinterfragt werden: Wie ist die nachbarschaftliche Situation, gibt es Widerstände, ist der Boden kontaminiert? Man wird die Regeln, nach gutem deutschen Recht, alles schön sicher und korrekt zu planen, vereinfachen müssen, um schneller zum Ziel zu kommen.

Das sind MUFs

Der Senat will in diesem und nächstem Jahr 60 Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUFs) bauen – wo, darüber verhandelt er seit Monaten mit den Bezirken. Einigkeit gibt es bislang über 35 Standorte. Zunächst sollen in den MUFs rund 19.000 Flüchtlinge unterkommen, später sollen sie für BerlinerInnen mit geringem Einkommen zur Verfügung stehen. Die bauvorbereitenden Maßnahmen für die ersten beiden MUFs in Marzahn-Hellersdorf haben begonnen.

Auch auf dem Gelände der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg ist ein Neubau in modularer Bauweise geplant. Das Büro Zappe hat für die Wohnungsbaugesellschaft Howoge den Entwurf gemacht. Vorgesehen sind 142 Wohnungen für Flüchtlinge, Wohnungslose und Menschen mit geringen Einkommen sowie eine öffentliche Bibliothek. Die Vergabe des Bauauftrags soll bis Ende März erfolgen. (taz)

Glauben Sie daran?

In Berlin wird sich eine Menge verändern, davon bin ich überzeugt. Der politische Wille kann Berge versetzen. Wir werden noch überrascht sein, was da alles so möglich ist.

Wie wohnen Sie eigentlich selbst?

Ich fühle mich sehr wohl in meiner Altbauwohnung (lacht).

Keine Sehnsucht nach der Platte?

Heiner Müller hat bekanntlich nichts mehr geliebt als seine Platte. Es gibt ja auch eine Retrobewegung: junge Menschen, die ihre Freiheit in der Platte entdecken. Stichwort Berlin Style: von ewig gestrig bis schick und hipp. Vor zehn Jahren hätte sich noch niemand für diese Bauart begeistern können. Das finde ich ganz fantastisch, dass man die Platte nicht als wertlose Architektur abtut. Dass es einen geistigen Nährboden gibt, um wieder über diese Bauweise zu diskutieren. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Wenn wir im Büro ein neues Projekt bearbeiten, gucke ich immer, ob es mich reizen würde, dort auch selbst einzuziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen