: Das Herz im Wohnzimmerschrank
Herz Vor 30 Jahren hat Emil Bücherl in Berlin dem ersten Patienten ein Kunstherz eingepflanzt
Zwei Jahre lang trug Frank Baier (Name geändert) zwei Herzen in seiner Brust: Sein eigenes, zu schwaches Herz und ein Kunstherz, das die Arbeit weitgehend übernahm. Das Kunstherz bewahrt Baier inzwischen in seinem Wohnzimmerschrank auf, als Erinnerung. „Ich bin froh, dass ich es wieder los bin“, sagt der 50-Jährige. Er gehört zu den nur wenigen Menschen in Deutschland, denen Ärzte die künstliche Pumpe entnommen haben, weil ihr eigenes Herz sich wieder erholt hat. Dabei gibt es hier seit 30 Jahren Kunstherzen.
Anders als andere Muskeln kann sich das Herz bei Untätigkeit regenerieren. Warum das so ist? Darüber rätseln die Ärzte noch. „Beim Herzmuskel gelten andere Mechanismen, die noch nicht alle erforscht sind“, sagt Thomas Krabatsch, Oberarzt am Deutschen Herzzentrum Berlin.
Nach der Operation ragte aus Baiers Bauch ein Kabel, das das Kunstherz mit Akkus und Controller verband. Die Geräte steckten in einer Tasche neben seinem Bett. „Ich wollte das Ding sofort wieder loswerden, habe aber langsam verstanden, dass es Tag und Nacht bei mir bleibt“, sagt Baier, der eine schwere Herzmuskelentzündung hatte. „Das Schlimmste war, dass ich nicht mehr duschen und baden durfte.“ Die Gefahr eines Kurzschlusses oder einer neuen Infektion war zu groß.
Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Patienten wie er weitaus unflexibler. „Noch vor etwa zehn Jahren wurden die Pumpen mit Kompressoren angetrieben, die so groß waren wie ein Kühlschrank“, erläutert Krabatsch. Und vor 30 Jahren, als Emil Bücherl in Berlin dem ersten Patienten deutschlandweit ein Kunstherz einpflanzte, war an Mobilität gar nicht zu denken.
Das von Bücherl entwickelte „Berliner Kunstherz“ galt damals als eine Sensation, der Arzt als einer der Pioniere auf dem Gebiet. Sein erster Patient, der das Herz am 7. März 1986 bekam, lebte allerdings nur kurz. Nach vier Tagen bekam der 39 Jahre alte Patient ein Spenderherz und starb kurz darauf an Komplikationen.
Seither hat sich viel getan. „Heutzutage können Patienten mit ihrem Herzunterstützungssystem nach Hause gehen, es gibt deutlich weniger Komplikationen und die Laufzeit ist definitiv länger“, sagt der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Kardiotechnik, Johannes Gehron.
Die Ärzte hoffen auf weitere Fortschritte: auf ein total implantierbares Kunstherz. Ein Herzersatz ohne Kabel also, das bei Unfällen quasi ein zweites Mal Leben retten kann. Denn es sei schon vorgekommen, dass Patienten das Kabel unbemerkt in einer Autotür einklemmten und starben, sagt Oberarzt Krabatsch. Oder in einem Stau waren – ohne Möglichkeit, die Akkus zu laden.
Am Herzzentrum in Berlin erhielten seit den 1980er Jahren etwa 2.250 Patienten eine künstliche Pumpe. Bei 100 davon konnte das Kunstherz wieder entfernt werden. Nur bei drei dieser Patienten war das eigene Herz auf Dauer doch nicht stark genug. „Sie brauchten erneut ein Kunstherz“, sagt Krabatsch. DPA
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