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Fast alles ist möglich

Baden-Württemberg Die Grünen wachsen, die SPD schwächelt, der Opposition fehlt die Wechselstimmung. Und die FDP möchte von allen Seiten umworben werden. Fünf Wochen vor der Landtagswahl bleibt es im grün-rot regierten Ländle spannend

Erst Froschkutteln essen und dann rutschen: Ministerpräsident Kretschmann Foto: Felix Kästle/dpa

von Benno Stieber

Das Politikerleben hält so manche Mutprobe bereit. Froschkuttelsuppe zum Beispiel, ein traditionelles Fastnachtsgericht im schwäbischen Riedlingen, die der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Faschingsdienstag wieder mal tapfer hinunterschlürfte. Diesmal war auch sein Kontrahent Guido Wolf von der CDU dabei. „Heute wollten wir nicht über Politik reden“, sagten sie unisono. Und setzten sich – nur getrennt vom Zunftmeister der Riedlinger Narren – medienwirksam an einen Tisch.

Die Froschkutteln bleiben erst einmal die einzige Suppe, die Wolf und Kretschmann zusammen auslöffeln. Wenn nicht gerade die Narren regieren, ist Wahlkampf im Ländle, und für Kretschmann ist das Ziel klar: Zeigen, dass Grün-Rot vor fünf Jahren kein historischer Zufall im Windschatten von Stuttgart 21 und Fukushima war.

Allerdings fehlt der grün-roten Regierungskoalition seit Monaten die Mehrheit. Einziger Trost: dem bürgerlichen Lager auch. Alles scheint also möglich bei dieser Wahl, zum Beispiel: Schwarz-Gelb-Rot und Grün-Rot-Gelb. Oder Kombinationen wie Schwarz-Grün und Schwarz-Rot. Oder eben am Ende sogar die Grünen als stärkste Partei, die ihren Partner wählen kann.

So prägt alle Parteien im Wahlkampf eine gewisse Schicksalsergebenheit. Keine will die anderen nachhaltig beschädigen. Kann ja sein, dass man am Ende eine gemeinsame Regierung bilden muss. Der Ministerpräsident wird immer präsidialer und grüßt in Schlips und Kragen von forstgrünen Wahlplakaten.

Die CDU versucht derweil alles zu vermeiden, was an ihre letzte Regierungsperiode unter dem polternden Stephan Mappus erinnert. Wolf laviert in seinen Auftritten zwischen aggressiv-gehemmtem Wadlbeißer und kleinteiligem Regierungskritiker.

Die demütige Rolle mag aber nicht so recht zur einstigen Baden-Württemberg-Partei passen. Auch wenn beide Seiten eifrig versuchen, die Aufmerksamkeit auf Landesthemen wie Bildung, Straßenbau oder sozia­len Wohnungsbau zu lenken, ist unübersehbar: Es fehlt dem Wahlkampf an Konfliktpotenzial. Denn das Thema, das die meisten Menschen derzeit bewegt, ist die Flüchtlingsfrage. Und die nutzt – mit Ausnahme der AfD – keine der Parteien zur Polarisierung.

Abgesehen von einem tagelangen Scharmützel, ob man nun mit der AfD im Fernsehen diskutieren soll oder nicht, hat die Front der demokratischen Parteien gegen die ressentimentgeladene Partei gehalten. Ein schwieriger Grat, vor allem für die Opposition. Denn wie soll Wolf gegen den bekennenden „Kanzlerinnen-Versteher“ Kretschmann auf diesem Terrain punkten?

Bei derart offenen Verhältnissen gefallen sich die Freien ­Demokraten als potenzielle Regierungsmacher und möchten gern von allen Seiten umworben werden. Auf dem Parteitag im Januar haben die Liberalen ihre Wahlprüfsteine beschlossen, in denen Sie liberale Kernanliegen formuliert. Nun verlangt die FDP Antworten der anderen Parteien auf ihre Thesen. Diese „vorgelagerten Koalitionsverhandlungen“ sollen eine Entscheidung erleichtern, mit wem sich die FDP eine Koalition vorstellen kann.

Und siehe da: Alle Kontrahenten haben der FDP diesen Gefallen getan. Wenn am Schluss die Mehrheit für Schwarz-Gelb fehlt, wird die FDP wohl auch zwei Ministerposten in einer grün-rot-gelben Ampel nicht verschmähen.

Mit Gender und Veggie-Day haben die Menschen meist wenig am Hut

Mit Gender-Gerechtigkeit und Veggie-Day haben die Menschen im Ländle meist wenig am Hut. Aber sie vertrauen Kretschmann, dass sich das, was sie als „grüne Auswüchse“ wahrnehmen, mit ihm in Grenzen halten wird. Herausforderer Guido Wolf löst bei den gleichen ­Leuten eher ein Achselzucken aus.

Die Neuauflage der grün-roten Koalition könnte klare Sache sein – wären da nicht die AfD und der schwächelnde Koalitionspartner SPD. Mit 15 Prozent in den Umfragen geht es für die Sozialdemokraten ans Eingemachte. Bei diesen Werten sind auch einstmals sicher geglaubte Wahlkreise in Gefahr.

Selbst Fraktionschef Claus Schmiedel müsste bei so einem Wahlergebnis um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. SPD-Landesvorsitzender Nils Schmid, der immerhin eisern zu Grün-Rot steht, gilt in der Partei immer mehr als Vorsitzender auf Abruf.

Deshalb träumt mancher im grünen Lager davon, aus eigener Kraft die Regierungsmehrheit zu sichern und sogar die CDU als stärkste Partei zu überholen. Der Satz, der von Politikern aller Farben in diesen ­Tagen in Stuttgart am häufigsten zu hören ist: „Mal sehen, was bis zum 13. März noch passiert.“

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