: Vorwurf: Stimmenkauf im großen Stil
Ukraine Die Regierung von Arsenij Jazenjuk überlebt ein Misstrauensvotum. Doch weitere Koalitionspartner springen ab
Aus Kiew Bernhard Clasen
So wenige Abgeordnete hatten sich schon lange nicht mehr zu einer Sitzung des ukrainischen Parlaments eingefunden wie am Mittwochmorgen. Gerade einmal 100 von 450 Deputierten hatten sich auf den Weg ins Parlament gemacht. Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen Premierminister Arsenij Jazenjuk am Dienstagabend steht die Regierungskoalition vor ihrer bisher größten Zerreißprobe.
Eigentlich war es fast schon eine ausgemachte Sache gewesen, dass Jazenjuk am Dienstagabend seinen Hut würde nehmen müssen. Nachdem sich sogar Präsident Petro Poroschenko, die Fraktion Block Petro Poroschenko, die Radikale Partei, die Vaterlandspartei, der Oppositionsblock und die Samopomisch und Tausende Demonstranten vor dem Parlament für den Rücktritt der Regierung ausgesprochen hatten, galt die Annahme des Misstrauensvotums als sicher.
Sie scheiterte jedoch ausgerechnet an zwei Fraktionen, von denen man ein Ausscheiden aus dem Anti-Jazenjuk-Bündnnis am wenigsten erwartet hatte. Noch nie hatte man den als „prorussisch“ geltenden Oppositionsblock verdächtigt, Bündnispartner von Arsenij Jazenjuk zu sein. Noch kurz vor dem Misstrauensantrag war Wadim Rabinowitsch vom Oppositionsblock vor die Presse getreten und hatte den Journalisten Handschellen präsentiert. Diese seien für Jazenjuk bestimmt, so Rabinowitsch.
Am Ende war er einer von 8 Abgeordneten des Oppositionsblockes (43 Sitze), der gegen das Misstrauensvotum stimmte. Die meisten seiner Kollegen hatten, wie zahlreiche Abgeordnete des Blocks Petro Poroschenko, den Saal vor der Abstimmung verlassen und so das Misstrauensvotum scheitern lassen.
In einer ersten Reaktion erklärte Julia Timoschenko, Chefin der Koalitionspartei Vaterland, den sofortigen Austritt ihrer Partei aus der Koalition. Für Timoschenko ist klar, dass Jazenjuk nur aufgrund einer groß angelegten Bestechungskampagne das Misstrauensvotum für sich hatte entscheiden können. „Bis zu einer Million Dollar hat man Abgeordneten geboten, wenn sie gegen das Misstrauenvotum stimmen“, erklärte Timoschenko gegenüber dem ukrainischen Fernsehkanal 112 Ukraina. Im großen Stil seien Stimmen von Abgeordneten gekauft worden.
Mit dem Austritt der Partei Vaterland gehören nur noch drei Parteien der einst aus fünf Parteien bestehenden Regierungskoalition an. Auch die Partei Samopomisch könnte die Koalition bald verlassen. Am 18. Februar trifft sie sich zu einer außerordentlichen Sitzung, um darüber zu beraten.
Auch Michail Saakaschwili meldete sich zu Wort. Hier habe man einen Umsturz der Oligarchen erlebt, so der Gouverneur von Odessa. Für den Samstag sind auf dem Maidan Feiern zum Gedenken an die Toten vom Februar 2014 geplant. Es ist nicht auszuschließen, dass sich erneut Hunderte oder gar Tausende von dort zum Parlament aufmachen und einen Rücktritt von Regierung und Präsident fordern werden.
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