piwik no script img

Warum Kafka lachte

Theater Mit „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ zeigen Andreas Kriegenburg und ein großartiges Darstellerensemble am Deutschen Theater, dass Kafka bedrohlich komisch sein kann. Selten wird einem die Kafka-Rezeption so freundlich entgegengetragen

von Katharina Granzin

Ein gehöriges Maß an Schwindelfreiheit ist unabdingbare Voraussetzung für eine Mitwirkung als DarstellerIn an diesem denkwürdigen Theaterabend. Andreas Kriegenburg, der Regisseur, der sein eigener Bühnenbildner ist, hat hinter dem plüschigen Samtvorhang des Deutschen Theaters einen Bühnenaufbau untergebracht, der an einen avantgardistischen Abenteuerspielplatz erinnert.

Viermal dasselbe Zimmer (eigentlich sogar fünfmal, aber das fünfte ist, hoch oben schräg in die letzte Ecke geklemmt, ganz und gar unbespielbar) scheint irgendein Riese aufs Geratewohl auf der Bühne zusammengeworfen haben – wie vier monströse Pappkisten, die inein­anderverkeilt in den unmöglichsten Winkeln zueinander im Raum erstarrt sind. Sie enthalten eine vollkommen identische Einrichtung, die gleiche schräg geschnittene Tür, den gleichen dreieckigen Sessel, das gleiche Judy-Garland-Bild über dem kantigen Sofa.

Dieser Bühnenbau agiert gleichermaßen als Wohnung des „älteren Junggesellen“ Blumfeld aus Franz Kafkas Erzählung „Blumfeld“ sowie als der Bau aus „Der Bau“. Passagen aus diesen beiden Prosastücken hat Kriegenburg zu einer dramaturgischen Rahmenerzählung fusioniert, ergänzt durch zahlreiche kafkasche Kurz- und Kürzestprosa.

Es ist ein textintensiver Theaterabend, der den Darstellern auch physisch viel abverlangt. Für die Zuschauer ist es nicht annähernd so anstrengend, ganz im Gegenteil. Selten wird einem die Kafka-Rezeption so freundlich entgegengetragen.

Gemäß dem im Programmheft zitierten Diktum des Literaturwissenschaftlers Joseph Vogl „Es muss etwas Ernstes in diesen Texten stecken, das dann doch nicht ganz so ernst gemeint war“, werden die kafkaschen Aphorismen und die surrealistischen Blumfeld- und Bau-Szenen zunächst komödiantisch gedeutet. Dazu braucht es viel Körperarbeit, Schlittern über die schrägen Fußböden, Turnen über die Kanten. In sorgsam choreografierten pantomimischen Einlagen werden die kleinen Selbstvergewisserungsgesten aus dem Alltag eines einsamen Paranoikers vervielfacht und orchestriert.

Die Vervielfachung wird in dieser Inszenierung nicht allein aus der Wiederholung gewonnen, sondern besteht ganz konkret in einer Vervielfachung der Darstellung. Blumfeld, oder der Erbauer des Baus, ist ein Mann im grauen Anzug und mit Gesichtsmaske. Es gibt ihn aber gleich fünfmal, zu Beginn sogar siebenmal, und all diese fünf Körper (Elias Arens, Moritz Grove, Bernd Moss, Jörg Pose, Natali Seelig) befinden sich fast immer gleichzeitig irgendwo auf dem Bühnenbau. Meist benehmen sie sich synchron, oft aber auch weniger.

In einer fulminanten Szene, mit der Kafkas kleiner Text „Gemeinschaft“ umgesetzt wird („Wir sind fünf Freunde“), verknoten sich alle fünf mit ihren Schlipsen zu einem großen Knäuel. Im Blümchenkleid mit passenden Schuhen gibt Nele Rosetz zwischen all den grauen Maskenmenschen eine etwas zickige Erzählerin. Laura Goldfarb und Lisa Quarg treten, ein bisschen gruselig, im unförmigen rosa Babykleid als die doppelte Vermenschlichung einer Puppe auf, die man in demselben Outfit im Regal des Blumfeld-Zimmers sitzen sieht. Im Duo erzählen sie, mit dem sich fast überschlagenden Gestus eines exaltierten Sportreporters, die Episode mit den zwei Bällen, die Blumfeld, als er eines Abends nach Hause kommt, zu Hause vorfindet – und die ihm überallhin folgen.

Paranoid grundgestimmt

Im Laufe des Abends sickert die Erkenntnis durch, dass das eben doch ernst ist

Das alles ist so temporeich und voll Witz umgesetzt, dass man als Publikum erst einmal damit beschäftigt ist, sich nach Kräften zu amüsieren. Doch im Laufe des Abends sickert mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass das, was nur vielleicht nicht ganz ernst gemeint war, eben doch ernst ist.

Die Texte nehmen an dunkler Parabelhaftigkeit zu, gleichzeitig lässt die Inszenierung in dem Bemühen nach, ulkige szenische Bilder zu finden, und gibt den Worten mehr Raum. Die gewisse paranoide Grundgestimmtheit von Kafkas Prosa wird immer deutlicher und kulminiert in einer Szene von „Der Bau“, in welcher alle grauen Männer in einer Pose erstarren, die im Kino bedeuten würde, dass jetzt das große Meucheln beginnt.

Aber so weit kommt es bei Kafka natürlich sowieso nie. Das Schreckliche liegt in der Vorahnung; in seiner unbeirrbaren Konsequenz ist das gleichzeitig auch bedrohlich komisch. Das merkt man ja manchmal gar nicht so deutlich, wenn man die Kafka-Sätze schwarz auf weiß geschrieben sieht.

Und eben dafür kann es großartig sein, das Theater zu haben. Weil man nämlich an einem Abend wie diesem erst so richtig versteht, warum Kafka über seine Texte lachte.

Nächste Vorstellung: 18. 2., 19.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen