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Mut zur Lücke

Diskurs Das Medienkunstfestival Transmediale verzichtet dieses Jahr auf eine Ausstellung. Stattdessen will man reden und reden

Eingeladen wurden auch zwei Whistleblower der ersten Stunde

Ein „Konversationsstück“ ist ein Genrebild, das Menschen im Gespräch zeigt. Im Garten oder im Café, im Wohnzimmer oder in der Schenke sehen wir die Subjekte des Gemäldes beim Plaudern, beim Essen, Trinken, Singen oder Sich-schöne-Augen-Machen. „Konversationsstücke“, weiß Wikipedia, „dienten der Abbildung zwischenmenschlicher Beziehungen und repräsentierten deren jeweilige Auffassungen sowie die sozial bestimmenden Lebensformen.“

Auch die diesjährige Ausgabe der Transmediale, des Berliner Festivals für Medienkunst und digitale Kultur, soll so ein „Konversationsstück“ sein. Auf im ganzen Haus der Kulturen der Welt verteilten Podien soll über den Status quo der Medienkultur diskutiert werden. Das allerdings wird, in Abwandlung des Titels eines Stücks von Peter Hacks, ein Gespräch im Hause Transmediale über die abwesende Medienkunst. Denn eine eigene Ausstellung mit einschlägigen Werken wird es in diesem Jahr nicht geben. Kristoffer Gansing, künstlerischer Leiter der Transmediale, verspricht zwar eine Reihe von Kunstwerken, die über das ganze Haus verteilt gezeigt werden. Auch bei den Podien soll es Performances, Aktionen und kurzzeitige Präsentationen von Arbeiten geben, die die Konferenzroutine unterbrechen sollen. Aber die Halle im Haus der Kulturen der Welt, in der im vergangenen Jahr eine prima Ausstellung mit aktuellen Arbeiten zu sehen war, ist diesmal das Konferenzzentrum.

Indem sie sich als fünftägige TED-Konferenz auf mehreren Ebenen inszeniert, beweist die Transmediale einmal mehr Mut zur Lücke. So diskursiv die zeitgenössische Kunst sich heute auch gibt – wenn nicht gerade mal wieder ein Malerei-Revival ausgerufen wird –, eine Ausstellung ganz durch Debatten zu ersetzen würde sich wohl trotzdem kein Kurator trauen. „Die Transmediale ist keine jährliche Leistungsschau der Medienkunst“, betont Kristoffer Gansing. Der „Content“ sei dank Internet sowieso für jeden verfügbar, wichtiger sei es, ein Referenzsystem für diese Arbeiten zu entwickeln. So sollen bei der Transmediale als „postdigitalem kulturellem Event“ diesmal „die im Spätkapitalismus vorherrschenden Ängste und Unsicherheiten“ diskutiert werden: „An die Stelle eines monothematischen Festivals mit separaten Ausstellungs- und Programmstrukturen rückt künstlerische und wissenschaftliche Praxis, die sich in Diskussionen, Workshops, temporären Installa­tionen, Performances und verschiedenen hybriden Formaten entwickelt.“ So wird denn geredet. Und geredet und geredet.

Themenschwerpunkte sind unter anderem die Sharing Economy, Sicherheitsängste im Zeitalter von Hackern und flächendeckender Internetüberwachung sowie Onlinepiraterie. Das kann zum Teil bestimmt interessant werden. Wenn der Berliner Industrial-Pionier FM Einheit, der einst mit den Einstürzenden Neubauten zu lärmen pflegte, für eine Performance sein Klangarchiv aus den 80er Jahren öffnet, gibt es sicher Hörenswertes zu entdecken: O-Töne von den Kreuzberger Maifestspielen und das Klappern von Heiner Müllers Schreibmaschine in seiner Ostberliner Wohnung, die zu einer neuen Klangkomposition verwoben werden. Auch wenn Radioveteran Ralf Homann bei einem „Radio-Picknick“ die Geschichte des Piratenradios rekapituliert oder die Praktiken der Musik- und Filmpiraterie in verschiedenen Ländern von Mexiko über Kuba bis Mali vorgestellt werden, wird man sicher Neues erfahren.

Eingeladen wurden außerdem Deborah Natsios and John Young von der Website cryptome.org, zwei Whistleblower der ersten Stunde, die schon Staats- und andere Geheimnisse im Internet ausplauderten, als Edward Snowden noch in der Highschool war. Für einen Vortrag kommt aus Kanada David Lyons, der Erfinder und Doyen der „Surveillance Studies“ (ja, das ist inzwischen eine akademische Disziplin). Wer also aktuelle Mediendiskurse absurfen möchte, ist bei der Transmediale nicht schlecht aufgehoben.

Wer aber eine Ausstellung mit richtiger Medienkunst sehen möchte, wird sich bis nächstes Jahr gedulden müssen. 2017 soll es zum 30. Geburtstag der Transmediale doch wieder eine Ausstellung geben, die von der Berliner Kuratorin Inke Arns zusammengestellt werden soll. Und dann wird es hoffentlich mal wieder real existierende Werke geben, die Gegenstand eines „Konversationsstücks“ werden können. Tilman Baumgärtel

3. bis 7. Februar, www.transmediale.de

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