: Mit „wir“ meine ich „ich“
ORTSTERMIN Gianis Varoufakis stellt in der Berliner Volksbühne seine neue Bewegung „DiEM25“ vor. Es wird viel geredet, viel applaudiert und wenig widersprochen
Aus Berlin Anja Krüger und Pascal Beucker
Im Foyer der Berliner Volksbühne ist es schon anderthalb Stunden vor der Veranstaltung voll. Eine Mitarbeiterin des Theaters verteilt Wartemarken an alle, die keine Eintrittskarte mehr bekommen haben. Seit knapp einem Monat ist die Veranstaltung mit Gianis Varoufakis ausverkauft. Viele ohne Karte hoffen, trotzdem eingelassen zu werden. Nach 120 verteilten Wartemarken will die Mitarbeiterin nicht weitermachen „Wir haben aber ab 20.30 Uhr einen Livestream auf unserer Internetseite“, ruft sie den enttäuschten Wartenden zu.
Hunderte sind in die Berliner Volksbühne gekommen, um den Start der neuen europäischen Bewegung mitzuerleben, die der ehemalige griechische Finanzminister heute ins Leben rufen will. Auf der Bühne steht vor einem schwarzen Vorhang ein Redepult, an der Rückwand hängt eine großer Monitor, auf dem auf roten Grund das Logo DiEM25 zu lesen ist. Es steht für „Democracy in Europe Movement 2025“, das ist der Name der neuen Bewegung.
Gianis Varoufakis betritt die Bühne. Applaus. Er trägt ein schwarzes Hemd, keine Krawatte und eine elegante Jacke. Er ist heute Hauptredner, Moderator, Regisseur. Das hier ist sein Baby, daran lässt er keinen Zweifel – auch wenn er oft von „wir“ redet. „Wir richten uns an die, die nicht mehr an Politik glauben“, sagt er. „Wir wollen eine echte Demokratie“ und „Wir sind allergisch gegen den Mangel an Transparenz“. Er hat eine Menge Leute eingeladen, die an diesem Abend auch oft „wir“ sagen. Und trotzdem: Die vielen Einzelnen ergeben kein Ganzes.
Der 54-Jährige will eine „breite Koalition“ zur Rettung Europas schmieden. Eine Auswahl seiner möglichen Partner hat er mitgebracht, eine ziemlich große. Ein schier endloser Redereigen spult sich ab. Den Anfang macht Linkspartei-Chefin Katja Kipping, es folgen Abgeordnete aus dem Europäischen Parlament aus allen möglichen Staaten, per Video zugeschaltet werden weitere Mitstreiter aus Frankreich, Spanien, den USA und aus Großbritannien der Digitalrebell Julian Assange. „Europa war ein Traum, den Europa verloren hat“, richtet der WikiLeaks-Gründer aus seinem Exil in der ecuadorianischen Botschaft in London aus.
Das dauert
Fast alle Reden werden auf Englisch gehalten, was nicht jeder guttut. Zu hölzern. Einzig der Europaabgeordnete Miguel Urbán Crespo von Podemos spricht in seiner Muttersprache. „Es gibt das Europa der Institutionen und das von unten, das sich erhebt, um solidarisch mit Flüchtlingen und Bedürftigen zu sein“, ruft der Mann mit dem Vollbart und der Nerdbrille auf Spanisch in den Saal.
Kontroversen werden nicht ausgetragen. So findet die innerhalb der Linken umstrittene Eurofrage mit keinem Wort Erwähnung. Spannend wäre auch, was der IG-Metall-Vorständler Hans-Jürgen Urban von einem bedingungslosen Grundeinkommen in Europa hält, das sowohl die Linkspartei-Vorsitzende Kipping als auch Caroline Lucas, die einzige grüne Abgeordnete im britischen Unterhaus, fordern. Stattdessen lobt der Gewerkschafter die „vielen Gemeinsamkeiten zwischen unseren Aktivitäten und dem Manifest von DiEM“. Das Publikum spendet artig Applaus. „Wie können wir heterogen sein, aber nicht zersplittert?“, fragt die deutsche Blockupy-Aktivistin Anna Stiede. Eine Antwort bekommt sie nicht. Die RednerInnen beziehen sich kaum aufeinander, jedeR spult mal mehr, mal weniger kämpferisch sein vorbereitetes Statement ab. Das dauert.
Um 23.30 Uhr wird es doch noch einmal spannend. Der Saal hat sich bereits zur Hälfte geleert, da bittet Varoufakis Gesine Schwan auf die Bühne. Es ist kein geplanter Auftritt, denn die zweimalige SPD-Kandidatin für das BundespräsidentInnenamt gehört nicht zu den UnterstützerInnen seiner neuen Bewegung.
Aber die beiden sind seit der Griechenlandkrise freundschaftlich verbunden. Denn Schwan war die einzige vernehmbare sozialdemokratische Stimme, die öffentlich den Kurs der Syriza-Regierung und von Varoufakis unterstützt hatte. „Wir haben wirklich gemeinsam gekämpft im Sommer“, sagt sie. Gern hätte Varoufakis sie auch jetzt wieder dabei gehabt. Doch sie will nicht. Bei aller berechtigten Kritik an undemokratischen Prozessen halte sie es für falsch, die EU-Bürokratie zur Wurzel allen Übels zu erklären, sagt Schwan. Das Problem sind für sie die politischen Mehrheiten. „Die müssen geändert werden.“
Es ist spät geworden. Varoufakis hat noch ein letztes Bonmot: Er erinnere sich an einen Ausspruch Oskar Wildes, nachdem der Sozialismus daran scheitere, dass die Sitzungen zu lange dauerten. Um zehn Minuten nach Mitternacht wünscht er den noch Verbliebenen eine gute Nacht.
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