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Keine Tomaten mehr für Kreuzberg

Gentrifizierung Ein Berliner Gemüseladen wurde zum Symbol des Mieterprotests. Jetzt macht er dicht

Ahmet Çalışkan vor seinem Laden in der Wrangelstraße Foto: Wolfgang Borrs

BERLIN taz | Der Berliner „Gemüseprotest“ ist zu Ende: Was im vergangenen Frühling als spontaner und schnell anwachsender Nachbarschafsprotest anfing, verliert nun sein symbolisches Zentrum. Der Gemüseladen „Bizim Bakkal“ im Wrangelkiez, einem Teil des östlichen Kreuzbergs, wird schließen.

Das Viertel befindet sich in einem Aufwertungsprozess, alteingesessene Einwohner und viele Kleingewerbetreibende werden verdrängt. Schon im vergangenen Mai sollte auch Bizim Bakkal schließen, das letzte inhabergeführte Gemüsegeschäft. Nach dem das Haus den Besitzer gewechselt hatte, kündigte der neue Vermieter den Vertrag.

Dagegen protestierte die Anwohnerschaft mehrere Monate lang mit öffentlichen Picknicks, Konzerten und offenem Mikrofon. Da der Widerstand so bunt daher kam und alle Milieus der Bevölkerung repräsentierte, wurde er zum Sympathieträger und fand ein breites Medienecho. Vom „Gemüseprotest“ und „Berlins freundlichstem Mieterprotest“ war die Rede. Als der Vermieter die Kündigung tatsächlich zurücknahm, wurde die Gruppe überregional zum Zeichen dafür, dass Gegenwehr gegen Verdrängung möglich ist.

Nun schließt der Laden also. Im Schaufenster klebt ein Aushang. Darin erklärt Ahmet Çalışkan, der das Geschäft seit 30 Jahren betreibt, dass er aus gesundheitlichen Gründen zum 31. März aufgeben werde. Eine Kundin, die das liest, sagt: „Wir können das noch gar nicht glauben. Bizim Bakkal war für uns viel mehr als ein Laden.“ Die Initiative „Bizim Kiez“, die im Sommer 2015 aus den Protesten hervorging, bewertet den Ausgang dennoch nicht ausschließlich als Niederlage. „Wir sind traurig“, sagt der Aktivist Thomas Symanek. Aber positiv sei: Man habe erreicht, dass die Çalışkans nicht einfach rausfliegen, sondern in Würde und selbstbestimmt schließen könnten. Darüber hinaus spricht die Initiative der Familie Çalışkan ihren Dank aus. Erst sie habe möglich gemacht, dass „Bizim Kiez“ entstand – „und dass wir als Nachbarschaft so viel Druck aufbauen konnten“, für den Erhalt des Ladens, aber auch für andere Themen. Vor zwei Monaten zum Beispiel erreichte die Kreuzberger Nachbarschaft, dass der Bezirk erstmals von seinem Vorkaufsrecht im Milieuschutzgebiet Gebrauch machte.

Nun fordert die Initiative mehr Schutz für kleine Gewerbetreibende – nicht nur im Wrangelkiez und nicht nur in Berlin. Denn um lebendige Innenstädte zu erhalten, gelte es sowohl Mieter zu schützen, als auch andere Räume zu erhalten, die Nachbarschaften zum täglichen Leben benötigten. Dazu zählten kleine Läden, die zugleich Treffpunkte seien, aber auch Räumlichkeiten wie Kindertagesstätten oder Senioreneinrichtungen.

Konkret verlangt die Initiative unter anderem, das Instrument des Milieuschutzes weiterzuentwickeln. Die Bundespolitik müsse dies so ausgestalten, dass es auch für Gewerbemietverträge angewandt werden kann. Tina Veihelmann

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