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Berlin hilft immer noch

Ehrenamt Etwa 20.000 ehrenamtliche BerlinerInnen engagieren sich derzeit für die Geflüchteten. Deren Versorgung wäre ohne Menschen wie Sarah Ebensperger, die gleich in mehreren Notunterkünften arbeitet, nicht denkbar

von Tim Lüddemann

Jeden Morgen erreicht ein Zug mit etwa 200 bis 300 Geflüchteten den Bahnhof Schönefeld. Angekommen in der Stadt, werden sie von etwa zwanzig Polizisten und Soldaten, die Gesichter teilweise hinter schwarzen Gesichtsmasken verdeckt, durch die Bahnhofsflure geführt. Ein trister Anblick, doch tun sich zwischen den Uniformierten auch eine Handvoll Freiwilliger mit Namensschildern hervor. Mit einem Lächeln im Gesicht begrüßen sie die Geflüchteten und bieten ihre Hilfe an. Es sind freiwillige Unterstützer der Gruppe „Train of hope“, die hier jeden Morgen für die Geflüchteten da sind.

Eine von ihnen ist Sarah Ebensperger. Seit sechs Uhr ist die freiberufliche Heilpraktikerin heute bereits auf den Beinen, um rechtzeitig bei der Ankunft der Züge in Schönefeld dabei zu sein. Mehrmals in der Woche engagiert sie sich in Schönefeld. „Ich möchte den Geflüchteten einen angenehmen Empfang bereiten und ihnen mit dringend Notwendigem helfen“, sagt die junge Frau Anfang 30. Gleich nach dem Aufstehen hat sie sich mit anderen Freiwilligen verständigt und in Erfahrung gebracht, wann die Züge einfahren, wie viele Menschen erwartet werden und was sie am dringendsten benötigen. Einer aus der Gruppe besorgt Fladenbrot, die andere Windeln für Kleinkinder. Denn das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) stellt den ankommenden Geflüchteten am Bahnhof nur Obst und ein Getränk zur Verfügung.

Sarah Ebensperger findet das völlig unzureichend. „Es kommen regelmäßig Mütter mit ihren Babys mit völlig durchnässten Windeln zu mir, die tagelang keine Möglichkeiten hatten, diese zu wechseln“, erzählt sie. „Die Menschen sind teilweise so verzweifelt, sie fallen mir in die Arme und geben mir Dankesküsse, weil ich ihnen einen neuen Pullover oder eine neue Hose geben kann.“ Auch die Hygiene-, Kleider- und Kinderspielzeugspenden organisieren die Freiwilligen, sie lagern in einem Gebäude am Bahnhof Schönfeld. „Ohne uns würden die Flüchtlinge in Schönefeld nur von Soldaten und Polizisten mit einer Banane und Wasser begrüßt“, meint Sarah Ebens­perger.

Enorm wichtige Arbeit

Laut Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks Berlin engagieren sich in den einzelnen Stadtteilen derzeit etwa 20.000 Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe. Sie bereichern nicht nur das staatliche Versorgungsangebot, oft ermöglichen sie überhaupt erst eine angemessene Versorgung. „Die Ehrenamtlichen leisten eine enorm wichtige Arbeit“, sagt Sascha Langenbach, Pressesprecher der zuständigen Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. Die Senatsverwaltung könnte die Arbeit in dieser Form so nicht leisten. „Dafür ist die Menge an ankommenden Geflüchteten nach Berlin zu groß“, so Langenbach. Mit den wachsenden Flüchtlingszahlen entstanden im letzten Sommer auch viele Unterstützungsangebote wie Sprachkurse oder Sportprogramme.

Dabei engagieren sich viele Ehrenamtliche fernab großer Organisationen wie der Deutsche Caritas oder Arbeiterwohlfahrt. Oft beginnen ein paar Einzelne sich ehrenamtlich in einer Unterkunft zu engagieren, zur besseren Koordination gründen sie eine Gruppe auf Face­book, mehr Freiwillige kommen hinzu, die Arbeitsfelder wachsen. Viele Initiativen besitzen mittlerweile mehrere Hundert Aktive, teilweise gründen sich daraus eigene Vereine. Die größte Initiative, „Moabit hilft“, hat erst im Januar eigens angemietete Räume bezogen.

Angst verloren

Bedrohte HelferInnen

Nicht alle begrüßen das Engagement der Ehrenamtlichen. Mitglieder der Initiative „Moabit hilft“ werden täglich angefeindet. „Uns wird körperlich gedroht, wir haben Heimsuchungen im privaten Umfeld, also Menschen kommen zu uns oder Familienmitgliedern nach Hause. Wir bekommen Drohbriefe, richtig auf Papier, sowohl nach Hause als auch ins Büro“, sagt Sprecherin Diana Henniges. ­„Außerdem erreichen uns Hunderte von Mails und Anrufe, in denen uns gedroht wird und in denen wir beschimpft werden.“ Die Polizei dokumentiere diese Anfeindungen schon seit September. „Nach Silvester ist es schlimmer geworden, es war, als ob da ein paar Dämme gebrochen sind. Die Vorfälle im Sommer sind damit gar nicht zu vergleichen“, fügt Henniges hinzu. „Und letzten Donnerstag war es noch mal besonders schlimm, am Tag nach der Falschmeldung.“ Die Polizei würde sie gut unterstützen, die Initiative habe mehrfach Anzeige erstattet, auch wegen Verleumdung. (usch)

Im ICC steht Rentner Edgar Richter vor einem Dutzend Waschmaschinen und kümmert sich um die Wäsche der dort untergebrachten Geflüchteten. Seit mehreren Monaten erledigt er diese Aufgabe ehrenamtlich. Seine Frau Sabine engagiert sich ebenfalls in der Unterkunft, in der derzeit zirka 600 Menschen leben. Sie kümmert sich um die Kleiderkammer und gibt Deutschunterricht.

Ausschlaggebend für das Engagement des Ehepaars waren anfänglich auch die eigenen Ängste vor der großen Zahl der ankommenden Flüchtlinge. Die Richters fragten sich, wie die vielen Menschen integriert werden sollten, und entschlossen mit anzupacken. „Seit ich in der Unterkunft helfe und die Menschen kennengelernt habe, schlafe ich viel besser“, sagt Sabine Richter. Ihre anfängliche Angst vor den Menschen, die hier Schutz suchten, habe sie nun verloren. „Wenn ich früher arabische Jugendliche getroffen hatte, fühlte ich mich unwohl“, erzählt sie. „Jetzt schau ich, ob ich nicht einen von ihnen kenne und ‚Hallo‘sagen kann.“

Am Bahnhof Schönefeld geht die Arbeit der Freiwilligen bis in die Mittagszeit. Erst dann sind die letzten Geflüchteten mit Bussen in die Notunterkünfte gebracht worden. Sarah Ebens­perger hilft die Empfangshalle aufzuräumen, sortiert die Kleidung und bespricht sich mit den anderen Helfern. Durch ihre gemeinsame Arbeit seien die Freiwilligen zusammengewachsen, erzählt sie, Menschen, mit denen sie sonst nie in Kontakt gekommen wäre.

Sobald alles fertig ist, fährt Ebensperger weiter nach Lichtenberg. Seit November leben hier Geflüchtete in einer stillgelegten Turnhalle in der Wollenberger Straße. Ebens­perger hilft bei der Essensausgabe, organisiert Spenden oder ist einfach Ansprechstation für die Geflüchteten. Die eher kleine Notunterkunft mit 200 Geflüchteten wird von dem jungen Verein Neopanterra betrieben. Der Vorsitzende, Marko Tobjinski, Mitte 40, ist Inhaber einer Cocktailbar und organisiert Feste. In einem ehemaligen Umkleideraum hat er mit seinem Team das Büro aufgeschlagen, ein Drucker steht provisorisch auf der Fensterbank, auf dem Boden stehen Kisten mit Kleiderspenden und ein Kinderroller.

Das Gute im Menschen

Vor einem halben Jahr hatte Tobjinski mit drei Freunden zusammengesessen und beschlossen, dass sie die Geflüchteten unterstützen möchten. „Wir wollten helfen und uns mit unseren Stärken einbringen“, sagt er. Die Freude gründeten einen Verein und boten dem Lageso an, eine Notunterkunft zu betreiben. Das klappte problemlos. Anders als die großen Organisationen wollten wir mit kurzen Entscheidungswegen schneller helfen und neue Wege gehen können, sagt Tobjinski. Er schwärmt von der großen ehrenamtlichen Unterstützung, die sein Verein von Beginn an erhalten hatten. So kamen nach einem Facebook-Aufruf Dutzende Menschen zum Bettenaufbauen vorbei, jede Woche helfen mehrere Freiwillige in der Unterkunft „Bisher hatte ich nur an das Gute im Menschen geglaubt“, erzählt er. „Seit wir die Notunterkunft betreiben, habe ich es auch gesehen.“

„Die Ehrenamtlichen leisten eine enorm wichtige Arbeit““

Sascha Langenbach

Gelegentlich hilft Sarah Ebens­perger auch nachts vor dem Lageso. Sie bringt Lebensmittel und Getränke vorbei und kümmert sich mit anderen um die Wartenden. „Natürlich geht es mir bei meinem Engagement auch um eine politische Aussage“, sagt sie. „In erster Linie geht es aber darum, Leid zu lindern und zu zeigen, was für eine Solidarität zwischen den Menschen möglich ist.“

Die meisten Engagierten in der Flüchtlingshilfe verfolgen keine politischen Ziele. Es geht ihnen schlichtweg um humanitäre Unterstützung. Durch die wachsenden Missstände und die schärfer werdenden Asylbestimmungen wächst aber das politische Engagement der Initiativen.

Noch mehr Engagement

Nach einem langen Tag schafft es Sarah Ebensperger endlich ins Bett. Sie erzählt, sie könne nur dank ihrer freiberuflichen Tätigkeit als Heilpraktikerin so viel Zeit investieren. Zwischen den Besuchen in den Unterkünften absolviert sie die Termine mit ihren Kunden. Die wachsende Skepsis in der Gesellschaft Geflüchteten gegenüber sei für sie noch mehr Grund, sich zu engagieren. Im Familien- und Freundeskreis würde sie gelegentlich auf Unverständnis mit ihrem Engagement stoßen. „Ab und an meint jemand zu mir, ich sollte mehr an mich selbst denken und mich nicht so verausgaben“, erzählt sie. „Aber ich denke mir, wenn ich Menschen helfen kann, warum sollte ich das nicht tun?“

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