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Rätsel mit Krimi

Ratespaß Die taz präsentiert das feine Zonen-Rätsel mit Gewinnmöglichkeit und erinnert an einen finsteren Mord an einem kleinen Jungen, der als Kreuzworträtselfall in die DDR-Geschichte eingegangen ist und in den 80ern beinahe in aller Munde war

von Andreas Rüttenauer

Was sagen Verbrechen über die Gesellschaft, in der sie verübt werden? Es gibt dieser Tage viele Gründe dafür, diese Frage zu stellen. Sie wird in vielen Variationen gestellt. Warum ist die Zahl der Anschläge auf geplante oder bestehende Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen so viel höher als in anderen Bundesländern? Oder: Was sagen die Exzesse in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof über die deutsche Migrationsgesellschaft? Es wird noch viel zu sprechen sein über diese Fragen.

In der frühen DDR gab es auf solche Fragen einfache Antworten. Kriminalität wurde historisch-materialistisch als Fortsetzung des Klassenkampfs mit anderen Mitteln gesehen. In der DDR wurden Kriminelle als reaktionäre Kräfte bezeichnet, deren Ziel es war, bewusst oder aufgrund fehlenden Bewusstseins den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu sabotieren. Die Führung der jungen DDR ist davon ausgegangen, dass die Kriminalitätsrate von allein zurückgehen würde. Und als nach den Gründungsjahren die Kriminalität tatsächlich zurückging, glaubte man damit ein Argument im Propagandakampf in der Hand zu haben. Als in den 1970er Jahren die Kriminalität wieder anstieg, herrschte Ratlosigkeit. Zeitweise wurden überhaupt keine Kriminalitätsstatistiken mehr veröffentlicht. Es sollte nicht sein, was war. Wie ein staatlich organisiertes Schweigekartell funktioniert, lässt sich gut anhand der DDR-Geschichte zeigen.

Auch große Kriminalfälle wurden oft erst öffentlich, wenn der Staat mit dem überführten Täter seine Erfolge im Kampf gegen das Verbrechen präsentieren konnte. Und doch gab es Verbrechen, die die Bevölkerung aufgewühlt haben, lange bevor die Fälle gelöst waren. So ist der Kreuzworträtselfall des Jahres 1981 zu einem der bekanntesten Kriminalfälle in der Geschichte der DDR geworden.

Zwei Wochen war der siebenjährige Lars aus Halle-Neustadt schon verschwunden, da entdeckte ein Streckenwärter der Reichsbahn einen Koffer neben den Schienen. Darin befand sich die Kinderleiche und eine Vielzahl ausgefüllter Kreuzworträtsel. Diese führten die Ermittler, die zuvor in Zeitungen und Zeitschriften um Mithilfe gebeten hatten, zum Täter. Über 100.000 Schriftvergleiche mit Personalakten wurden vorgenommen. 30.000 Wohnungsanträge, 40.000 Auto-Anmeldungen. Polizei-Grafologen platzierten ein Kreuzworträtsel in der Tageszeitung Freiheit, das 11.000 Rätselfreunde angelockt hat. Insgesamt wurden 551.198 Schriftproben untersucht. Dann endlich wurde die Frau identifiziert, die die Kreuzworträtsel in dem sichergestellten Koffer ausgefüllt hatte. Es war die Mutter der Frau, deren Freund den brutalen Mord nebst sexuellem Missbrauch begangen hatte.

Der Täter war geständig und gab doch Rätsel auf. Wie konnte es sein, dass sich ein junger Mann, der die sozialistische Erziehung vom Kindergarten bis zur 10. Klasse durchlaufen hatte, ohne jemals aufgefallen zu sein, ein derart brutales Verbrechen begehen? Das war die Frage, die über dem Fall lag. Eine kleine Meldung in der Freiheit beendete die Berichterstattung über den Mord.

Die Erinnerung an den Fall, der sich von Mund zu Mund weit über Halle-Neustadt hinaus herumgesprochen hatte, verblasste indes nicht. Im Herbst der DDR, 1988, wurde im DDR-Fernsehen eine „Polizeiruf 110“-Folge mit dem Titel „Der Kreuzworträtselfall“ ausgestrahlt, die sich an dem realen Geschehnissen orientiert hat. Die große gesellschaftlichen Fragen wurden da von den Hauptmann Günter Beck und Leutnant Thomas Grawe dann auch nicht mehr geklärt.

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