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„Das sind Knebelverträge“

Kampf Gewerkschafter Kalle Kunkel über den Import von schlechten Arbeitsverhältnissen

Foto: dpa
Kalle Kunkel

35, ist Gewerkschaftssekretär bei Verdi für die Bereiche Gesundheit und Kirchen.

Interview Malene Gürgen

taz: Herr Kunkel, Sie haben als Gewerkschaftssekretär von Verdi gemeinsam mit der spanischen Gruppe GAS (siehe Text links) eine Kampagne zu den schlechten Arbeitsbedingungen für migrantische Beschäftigte in der Pflegebranche geführt. Was ist dort das Problem?

Kalle Kunkel: In Deutschland gibt es in dieser Branche einen Fachkräftemangel, also sehen sich gerade private Unternehmen vermehrt im Ausland um – besonders in Spanien, wo die Qualität der Pflegeausbildung sehr hoch ist, aber auch in anderen süd- und osteuropäischen Ländern. Da werden Anzeigen im Internet geschaltet, die Bewerbungsgespräche direkt vor Ort geführt und dann meist noch vor der Einreise nach Deutschland die Verträge unterschrieben. Dass es sich dabei um Knebelverträge handelt, aus denen die Beschäftigten so schnell nicht wieder herauskommen, wissen die meisten Betroffenen gar nicht.

Inwiefern sind das Knebelverträge?

Damit ihre Abschlüsse in Deutschland anerkannt werden, müssen die Pflegekräfte ein Deutsch-Niveau von B2 nachweisen. Daran haben natürlich auch die Unternehmen ein Interesse, deshalb lassen sie die Beschäftigten in den ersten sechs Monaten einen Deutschkurs absolvieren. Wenn die Pflegerinnen und Pfleger nach Abschluss des Kurses dann mit der Arbeit beginnen, stellen sie oft fest, dass die Konditionen schlecht sind: Sie werden an ständig wechselnden Orten im ganzen Bundesgebiet eingesetzt oder arbeiten 12-Stunden-Schichten ohne Pause und werden zum Teil unter Branchenstandard bezahlt. Wollen sie aber kündigen, verlangt das Unternehmen eine Rückzahlung im oberen vierstelligen, teilweise auch fünfstelligen Bereich: Offiziell sind das die Kosten für die Freistellung für einen Sprachkurs, den die Firma jetzt zurück haben will. Für bis zu 36 Monate binden die Firmen die Pflegekräfte so an sich.

Aber ist es nicht legitim, dass die Unternehmen die Kosten zurück haben wollen, die sie vorgestreckt haben?

Nein. Denn erstens haben die Firmen die Kosten für die Sprachkurse lange vor Ablauf der Zeiträume, in denen die Strafen gelten, wieder drin. Und man darf zweitens auch nicht vergessen, dass die Unternehmen ja ein Eigeninteresse daran haben, dass die Qualifikationen der migrantischen Arbeitskräfte anerkannt werden. Und das geht eben nur mit einem Sprachzertifikat.

Sind diese Verträge denn legal?

Grundsätzlich leider schon. Die Summe, die zurückgezahlt werden muss, reduziert sich mit jedem Monat, den die Pflegekraft im Unternehmen arbeitet. So konstruierte Bindungsklauseln sind erlaubt, auch wenn sie eigentlich für Weiterbildungen gedacht sind – wozu man eine unbedingt notwendige sprachliche Qualifizierung eigentlich nicht zählen kann.

Auf gerichtlichem Weg lässt sich also kaum etwas gegen diese Verträge ausrichten.

Ja, das ist zumindest schwierig. Deswegen haben wir uns für eine politische Kampagne entschieden, dafür, an die Öffentlichkeit zu gehen und diese Bedingungen, unter denen die Leute da arbeiten, zu skandalisieren. Das hat Wellen bis in die großen spanischen Tageszeitungen geschlagen – dort hat man sich empört, unter welchen Bedingungen die spanischen Pflegekräfte hier arbeiten müssen.

Hat sich die Situation für die betroffenen Arbeitskräfte dadurch verbessert?

In dem speziellen Fall des Unternehmens, wo die von uns vertretenen Pflegerinnen und Pfleger gearbeitet haben, schon. Dort konnten wir erreichen, dass sie die Vertragsstrafe nicht zahlen müssen. Insgesamt sind diese Klauseln aber weiterhin ein Problem – sie sind sehr verbreitet, und immer noch werden die migrantischen Arbeitskräfte viel zu wenig über die Konsequenzen der Verträge aufgeklärt.

Was müssen deutsche Gewerkschaften tun, um die Situation migrantischer Arbeitskräfte zu verbessern?

So pauschal kann ich das nicht beantworten. Aber wir haben seit Beginn unserer Kampagne, also seit Frühling 2014, natürlich einige Erfahrungen gesammelt und auch gemerkt, wo die Schwierigkeiten liegen. Zum Beispiel war es ja sehr wichtig, dass die GAS die Betroffenen überhaupt an uns vermittelt hat – das lief aber eher zufällig und über persönliche Kontakte. Um die Ansprechbarkeit für migrantische Arbeitskräfte zu erhöhen, wäre es wichtig, dass es mehr fremdsprachige Mitarbeiter in den Gewerkschaften gibt. Angesichts der zunehmenden Europäisierung des Arbeitsmarkts ist das eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen.

Das Problem ist also vor allem ein sprachliches?

Das spielt sicher eine große Rolle – gerade wenn es um komplizierte arbeitsrechtliche Fragen geht, ist eine Beratung in der Muttersprache sehr wichtig. Aber es geht auch darum, sich mit der spezifischen Situation von migrantischen Arbeitskräften auseinanderzusetzen: Die Bindungsklausel in der Pflegebranche zum Beispiel ist an sich vielleicht kein großer Aufreger. Aber wenn man sich anguckt, aus welcher Situation die Menschen kommen und in welcher Situation sie sind, wenn sie die Verträge unterzeichnen, dann merkt man, worum es dabei eigentlich geht: nämlich darum, dass die Arbeitgeber die schlechte Arbeitsmarkt-situation in den Heimatländern der Leute hierhin importieren wollen.

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