: Kreuther Papierkrieg
Union Noch bevor Angela Merkel am Mittwoch wieder nach Kreuth reist, wird die Kanzlerin von der CSU mit Forderungen überhäuft
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von Dominik Baur
Kurz vor vier kommt die Nachricht, der Ministerpräsident sei zusammengebrochen. Doch schon wenig später, der Notarzt ist noch nicht eingetroffen, dringt Applaus aus dem Saal. Durchs Fenster kann man Horst Seehofer sehen, er steht. Offenbar erlitt er gegen Ende seiner Rede vor der CSU-Landtagsfraktion einen kurzen Schwächeanfall, musste von Parteifreunden gestützt werden, hielt dann aber seine Rede zu Ende. „Eine kurze Schrecksekunde“, sagt Generalsekretär Andreas Scheuer.
Doch die Show muss weitergehen. Denn am Mittwoch kommt die Kanzlerin. Ihr Empfang dürfte diesmal noch frostiger werden, als Merkel das mittlerweile schon von ihrem Koalitionspartner gewohnt ist. Dafür hat die CSU im Vorfeld gesorgt. So haben sich zahlreiche Wortführer der Partei vorsorglich in Rage geredet und Merkel heftig kritisiert – vom Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber über Finanzminister Markus Söder bis hin zu Seehofer selbst, der mal wieder eine Verfassungsklage ins Spiel brachte. Mit einer europäischen Lösung sei in naher Zukunft nicht zu rechnen, so die einheitliche Meinung, deshalb müssten jetzt nationale Maßnahmen getroffen werden. Heißt: Grenzschließungen.
Was sich die CSU in Sachen Flüchtlingspolitik von der Kanzlerin erwartet, wird es am Mittwoch auch noch in handlicher Fassung zum Nachlesen geben: Noch vor Merkels Ankunft wollen die Fraktionsmitglieder in Kreuth einen zwölf Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog beschließen, in dem die wichtigsten der im Umlauf befindlichen CSU-Forderungen zusammengefasst sind, etwa die Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr, eine Aufstockung der Bundespolizei oder eine Aussetzung des Familiennachzugs etwa für Bürgerkriegsflüchtlinge. Außerdem sollen dem Papier nach weitere Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.
Die Kanzlerin bekommt aber noch mehr Lektüre: Mehr als 30 der 101 CSU-Abgeordneten, nämlich die 2013 erstmals ins Parlament gewählten, wollen ihr einen Brandbrief überreichen, in dem auch sie vor einer Gefährdung der Demokratie warnen und einen Kursschwenk fordern.
Ein drittes Papier stellte Fraktionschef Thomas Kreuzer am Dienstag mit dem Chef der CSU-Grundsatzkommission, Markus Blume, vor. Darin fordern die Christsozialen sogar eine Änderung der Verfassung. Wohlgemerkt, der bayerischen. In ihr soll künftig die Leitkultur – wohlgemerkt, die deutsche – zur Basis für eine gelingende Integration von Migranten erklärt werden. Um die Forderung zu unterstreichen, hatte die Fraktion bei einer Politikberatungsgesellschaft eine Umfrage in Auftrag gegeben, derzufolge der größte Teil der Bayern hinter dem Konzept der Leitkultur steht und Multikulti ablehnt.
Vor der Tagungsstätte war da gerade der Ministerpräsident vorgefahren. Natürlich bekam Seehofer mit Blick auf die schlechte Stimmung innerhalb der Union auch wieder die obligatorische Frage zu hören, ob es nun Zeit für einen neuen Trennungsbeschluss von Kreuth sei. „Ausgeschlossen“, erwiderte Seehofer. Fragte aber dann sicherheitshalber nach: „Jetzt, meinen Sie?“
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