Die Flüchtlingsdebatte

In Nordrhein-Westfalen klärt sich langsam der Nebel um die Ereignisse an Silvester. Da blasen Rechte zur Menschenjagd auf Ausländer

Wortlos die Wache verlassen

Silvesternacht NRW-Innenminister Ralf Jäger berichtet über den Ablauf der Kölner Ereignisse und übt heftige Kritik an der Polizei. Die habe die Lage falsch eingeschätzt und angebotene Hilfe abgelehnt

„Spießrutenlauf“: die Situation vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht Foto: Markus Böhm/dpa

aus Düsseldorf Claudia Hennen

Nicht ich bin schuld, sondern die Führung der Kölner Polizei. So lautet das Fazit des Innenministers von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), der am Montag im Düsseldorfer Landtag seine Sicht auf die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht darlegte. Um die massiven Angriffe zu verhindern, hätte die Kölner Polizei auf zusätzliche, in der Nacht verfügbare Einsatzkräfte zurückgreifen müssen, sagte der SPD-Politiker am Montag bei einer Sondersitzung des Innenausschusses. Sie habe die angebotene und „dringend benötigte Verstärkung für diese unerwartete Lageentwicklung“ nicht abgerufen, sagte der Minister.

Laut dem vom Ministerium nun vorgelegten Bericht hat es bereits am Abend entfesselte Zustände auf dem Bahnhofsvorplatz und an der Domtreppe gegeben: Feuerwerkskörper wurden in die Menge geworfen. Gegen 21 Uhr standen dort 400 bis 500 teils schwer alkoholisierte Männer, überwiegend zwischen 15 und 35 Jahren, die „dem äußeren Eindruck nach aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum stammten“. Gegen 23 Uhr habe sich die Gruppe auf dem Bahnhofsvorplatz verdoppelt bis verdreifacht. Auf polizeiliche Ansprachen und Maßnahmen hätten die Männer nicht reagiert. Schlimmer noch: Die Beamten bemerkten die sexuellen Übergriffe auf Frauen in der Menschenmenge nicht.

Um 23.30 Uhr begann die Polizei dann mit der Räumung des Platzes. Kurz zuvor hatte der Einsatzleiter ein Gespräch mit dem Leiter der Landesleitstelle. Dieser habe ihn explizit gefragt, ob er Verstärkung benötige. Doch der Kölner Beamte verneinte.

Die Lagebeurteilung war nicht nur falsch, sie war fatal für die Frauen. Deren „Spießrutenlauf“ im und um den Hauptbahnhof ging in der Silvesternacht weiter – weitgehend unbeachtet von Einsatzkräften und ohne strafrechtliche Verfolgung. Polizeiinspektor Heinen: „Es gab Teilinformationen, aber keine umfassende Lageeinschätzung.“

Scharf kritisiert der Bericht des Innenministers auch die Einsatzbewältigung. Gerade einmal ein Dutzend Beamte waren im Einsatz für Vernehmungen, Identitätsfeststellung oder Anzeigenaufnahme. Dramatische Szenen spielten sich wohl auf der Wache ab: 30 bis 50 betroffene Personen wollten am frühen Morgen Anzeigen erstatten – sie waren höchst aufgebracht, viele weinten und schilderten, dass ihnen von Polizisten nicht geholfen wurde.

„Ein außergewöhn­liches Ereignis. Das hat mich schockiert“

Ralf Jäger, Innenminister NRW

Die Aufnahme der Anzeigen gestaltete sich zudem als so langwierig, dass einige Opfer wortlos die Wache verließen. Unter anderem hatte der Wachdienstführer angeordnet, dass Sexualdelikte von einer Frau aufgenommen werden sollten – dafür gab es aber nur eine Beamtin. So wurden nur fünf Anzeigen aufgenommen.

NRW-Polizeiinspektor Bernd Heinen kritisierte auch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kölner Kollegen. Die erste Pressemeldung an Neujahr hätte „in dieser Form nicht in die Öffentlichkeit gegeben werden dürfen“. Darin war von einer „entspannten Einsatzlage“ die Rede. Auch zum Vorwurf der Vertuschung der Herkunft der Täter nimmt der Bericht Stellung. Zwar habe der Polizeipräsident frühzeitig auf die Beteiligung von Flüchtlingen hingewiesen. Doch habe er sich erst eine Woche später umfassend zur Herkunft der mutmaßlichen Täter geäußert – „trotz mehrfacher ausdrücklicher Aufforderungen durch das Ministerium“.

„Das ist ein außergewöhnliches Ereignis, das jeden Innenminister mitnimmt, dass Frauen als Objekt erniedrigt wurden. Das hat mich schockiert“, sagte Jäger. Einen Rücktritt schloss der Minister aber aus. „Es hat nicht zu Zweifeln geführt, als Innenminister weiter Verantwortung tragen zu wollen.“