: Ein Stückchen Wahrheit
CROWDFUNDING Vier Quadratmeter an drei Tagen: Die taz sammelt Geld, um ein Stückchen des Bremer Weser-Ufers kaufen zu können und ein Denkmal zu errichten: Als Erinnerung an die NS-Geschäfte des Logistik-Konzerns Kühne+Nagel
Drei Tage haben gelangt, um unser selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Drei Tage, in denen die taz per Crowdfunding fast 4.400 Euro zusammen bekommen hat: Für ein Vier-Quadratmeter-Grundstück für ein Denkmal an die Arisierungs-Geschäfte von Kühne+Nagel. Mittlerweile haben wir schon 18.908 Euro zusammen (Stand: Redaktionsschluss). Ein großer Dank an unsere LeserInnen und GenossInnen, die diesen immensen Erfolg ermöglichen!
Nun geht es weiter: Auf die Fläche soll ein Denkmal – ob es sich nun um in Beton gegossene Möbel handelt oder um andere Entwürfe. Denn in Gegensatz zu Klaus-Michael Kühne, der auf dem selben Gelände seinen neuen Stammsitz errichten will und es kategorisch ablehnt, für diesen städtebaulich sehr exponierten Ort einen Architekten-Wettbewerb zuzulassen, wird die taz einen Gestaltungswettbewerb ausloben. Wie können die immensen Arisierungs-Geschäfte der Spedition dargestellt werden? Wie kann man die Verwertung von fast 70.000 Wohnungseinrichtungen bildlich fassen?
Kühne+Nagel sicherte sich das Monopol für die Verwertung des gesamten Besitzes der aus Westeuropa deportierten Juden. Doch das Unternehmen selbst will sich weder erinnern – noch erinnern lassen: Anfragen von Historikern werden abgewiegelt, bis heute ist das Firmenarchiv für Fachleute tabu.
taz hat ein besseres Angebot
Mit 1.100 Euro pro Quadratmeter bietet die taz deutlich mehr, als der Bremer Senat dem weltweit drittgrößten Logistik-Konzern in Rechnung stellen will: Bremen will das Areal für rund 900 Euro pro Quadratmeter an das Unternehmen verkaufen. Kühne+Nagel ist ein Investor, der gepflegt sein will: Allein in Bremen bietet das Unternehmen rund 1.000 seiner weltweit 63.000 Arbeitsplätze.
Aber auch die Erinnerung muss gepflegt werden. Und diesbezüglich ist das „History Marketing“, das Kühne+Nagel im aktuellen Jubiläumsjahr entfaltet, die reinste Provokation. Mit zahlreichen historischen Fotos und Filmchen wird zweierlei transportiert: Nostalgie und die Message, wie intensiv das Unternehmen habe kämpfen müssen, um während des Zweiten Weltkriegs wirtschaftlich über Wasser zu bleiben.
Auf Nachfragen über die Unternehmensgeschichte zwischen 1933 und 1945 erklärte das Unternehmen, „der Rolle von Kühne+Nagel in diesen Zeitperioden mangelt es an Relevanz“. Zwar habe man in der Tat Möbel transportiert. „Unklar“ sei jedoch, „wer die Spedition beauftragt hatte, ob dies in einem kulturpolitischen Zusammenhang erfolgte und falls ja, ob die Durchführung wissentlich und willentlich geschah“. Zu diesem Zeitpunkt war das Unternehmen bereits mehrfach auf entsprechende Studien und Archivbestände hingewiesen worden.
K+N schweigt zum Ausmaß der eigenen Verbrechen
Im März „bekannte“ sich das Unternehmen dann notgedrungen dazu, damals „zum Teil“ im staatlichen Auftrag gehandelt zu haben, was man auch bedauere. Aber man habe eben „in dunklen und schwierigen Zeiten seine Existenz behaupten“ müssen. Zudem seien „die seinerzeitigen Verhältnisse in der Diktatur zu berücksichtigen“.
Kein Wort jedoch über die ausgesprochen „proakive“ Rolle des Unternehmens bei der Akquise von Verwertungsaufträgen. Kein Wort über das in verschiedenen Archiven dokumentierte ständige Antichambrieren beim Reichsfinanzminister, um beispielsweise auch einen Pauschalauftrag für die Heimholung des in italienischen Häfen gestrandeten Besitzes von Geflüchteten zu ergattern. Auch in Biarritz, so dokumentiert eine Akte, besichtigte der K+N-Geschäftsführer ein entsprechendes Sammellager – und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass die Gegend bereits weitgehend nach jüdischem Besitz „durchkämmt“ sei. Kein Wort darüber, dass das Unternehmen nicht nur 500 Frachtkähne, 674 Züge und 26.984 Güterwaggons aufbot, um den Besitz jüdischer Deportierter abzutransportieren, sondern sich auch selbst „arisierte“. Kein Wort also darüber, dass Werner Kühne am 1. Mai 1933 in die NSDAP eintrat – acht Tage, nachdem der jüdische Anteilseigner Adolf Maass, der in Auschwitz ermordet wurde, das Unternehmen verlassen hatte.
Chancen der Aufarbeitung
Kühne+Nagelwill sich seiner NS-Geschichte nicht stellen, der Bremer Senat will der Firma ein günstiges Grundstück am Weserufer verkaufen. Die taz hat 4.400 Euro gesammelt, um mitbieten zu können: Für vier Quadratmeter als Grundfläche für ein NS-Denkmal. Nun sammeln wir Geld für das Denkmal selbst.
Überweisungenan: taz, die tageszeitungPostbank BerlinIBAN: DE85100100100282997104BIC: PBNKDEFFStichwort: Kühne und Nagel
Sollte die taz nichtzum Zuge kommen, kommt das gesammelte Geld der Jüdischen Gemeinde Bremens zur Unterstützung ihrer älteren bedürftigen Mitglieder zu Gute.
Nur enttäuschen kann vor diesem Hintergrund die im Sommer 2015 fertiggestellt firmeneigene Chronik „125 Jahre Kühne+Nagel“. Im Gegensatz zu früheren K+N-Chroniken ist darin ein kurzer Abschnitt „In dunkler Zeit“ vorhanden, dieser widmet sich allerdings ganz überwiegend der Erwägung, welch große wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu bewältigen gewesen seien.
Die Chance auf eine andere öffentliche Darstellung der NS-Geschichte des Unternehmens entsteht nun ausgerechnet durch den Eifer des Bremer Senats, den Kühne+Nagel-Neubau am Weserufer günstig zu ermöglichen: Wer für das prominent gelegene Grundstück nur 900 Euro pro Quadratmeter verlangt, darf sich über Mitbieter nicht wundern. Muss die taz mit einem höheren Angebot, nach Maßgabe der Bremer Haushaltsnotlage, nicht zum Zuge kommen? Zumindest soll unser Gebot ein klares politisches Signal sein: Es wird zivilgesellschaftlich nicht hingenommen, wenn Unternehmen, die damals wie heute eine herausgehobene Rolle einnehmen, die tatsächliche Aufarbeitung ihrer Firmengeschichte verweigern.
Je mehr Spenden wir sammeln, desto höher wird das Denkmal. Und desto unübersehbarer die Erinnerung an Geschäfte, die Teil des größten Raubmords der bisherigen europäischen Geschichte waren. Helfen Sie uns beim Erinnern. Henning Bleyl
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