Entscheidung des Bundessozialgerichts: Existenzminimum auch für EU-Bürger

Wer länger als sechs Monate in Deutschland lebt, hat Anspruch auf Sozialhilfe. Aber: Hartz-IV-Leistungen gelten nicht für jeden, urteilen die Richter.

Ein Mann sitzt auf der Straße und bettelt, er ist von der Seite im Schatten zu sehen

Leben, ohne betteln zu müssen: Das sollte für alle gelten, die in Deutschland leben. Foto: dpa

KASSEL epd | Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Rechte von EU-Bürgern auf Leistungen des deutschen Sozialstaats geklärt. In einem Grundsatzurteil entschieden die obersten Sozialrichter am Donnerstag in Kassel, dass EU-Bürger, die sich länger als sechs Monate in Deutschland aufhalten, Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben.

Sie dürften zwar von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen werden, könnten aber Anspruch auf Sozialhilfe haben. Bei einem kürzeren Aufenthalt als sechs Monate habe das Sozialamt ein „Ermessen“, Sozialhilfe zu gewähren. Dabei könnten etwa bestehende Krankheiten oder andere Gründe für den Anspruch auf Hilfe eine Rolle spielen.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen sind arbeitsuchende EU-Bürger trotz des EU-Rechts auf Freizügigkeit von Hartz-IV-Leistungen grundsätzlich ausgeschlossen. Erst wenn eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens einem Jahr besteht, können sie bei anschließender Hilfebedürftigkeit dauerhaft Hartz IV beanspruchen. Bei einer Beschäftigung von weniger als einem Jahr können sie für maximal sechs Monate Arbeitslosengeld II erhalten.

Dieser weitgehende Ausschluss arbeitsuchender EU-Bürger von Hartz-IV-Leistungen ist nach EU-Recht nicht zu beanstanden, hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits am 15. September 2015 nach einer Vorlage des BSG entschieden (AZ: C-67/14). Auch nach der EU-Freizügigkeitsrichtlinie dürften EU-Staaten Hilfeleistungen wie Hartz IV verweigern, wenn sonst die Sozialkassen übermäßig in Anspruch genommen werden, urteilte der EuGH.

Das Bundessozialgericht musste nun in den aktuellen Verfahren prüfen, ob die Kläger aus anderen Gründen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und damit auf Sozialleistungen haben können. Einer der Kläger berief sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Anspruch von Flüchtlingen auf Asylbewerberleistungen. Die Karlsruher Richter hatten 2012 dabei entschieden, dass jedem Menschen, der sich in Deutschland aufhält, ein menschenwürdiges Existenzminimum zusteht (AZ: 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Dies müsse dann auch für EU-Bürger gelten, trug der Anwalt der Kläger, einer vierköpfigen rumänischen Familie, vor.

Laut Bundessozialgericht ergibt sich der Sozialhilfeanspruch auch aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen aus dem Jahr 1953, das die Vertragsstaaten des Europarates unterzeichnet haben. Danach können bei einem rechtmäßigen Aufenthalt Sozialleistungen beansprucht werden. (AZ: B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 43/15 R)

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