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Im Süden

Kunst Launch der neuen Documenta-Zeitung

Das „Land, wo die Zitronen blühn, im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn“, war es sicher nicht, das Adam Szymczyk vorschwebte, als er den „Süden“ vergangenes Jahr zu einer Zentralkategorie der Documenta 14 erhob. „Learning from Athens“, das Motto der Schau im Frühsommer 2017, war nicht als Signal für den Rückzug in das Arkadien gedacht, wo Hirten Flöte und Mädchen mit Lämmern spielen. Sondern als Aufbruch der Kunst in die Konflikte der Gegenwart: Schuldenpolitik, Globalisierung und das Elend der Flüchtlinge.

Wie dieser Aufbruch vonstattengehen soll, lässt sich nach der ersten Ausgabe der neuen Documenta-Zeitung noch nicht so ganz genau sagen. In „South As A State of Mind“, der 2012 von der griechischen Kuratorin Marina Fokidis gegründeten Kunstzeitschrift, die nun zur publizistischen Plattform der Schau avancierte, spricht ihr Chef zwar davon, dass sich die „wirtschaftliche und humanitäre Krise in Europa verschärft“ habe. Und die griechische Kulturwissenschaftlerin Angela Dimitrakaki sorgt sich, dass die europäischen Massen trotzdem kein „radikales politisches Bewusstsein“ entwickelten. Das „Theater der Aktionen“, mit dem Szymczyk bei der Documenta die Betrachtung von „Artefakten“ ersetzen will, bleibt aber nur eine interessante Formel.

Einige der 20 Aufsätze dekonstruieren zumindest theoretisch schon mal die Verhältnisse. Die französische Politologin Françoise Vergès mahnt, den „Süden nicht zu idealisieren“. Während die Schweizer Dichterin Miriam Cahn diese Himmelsrichtung in dem Gedicht „Mare Nostrum“ als Zuflucht ihrer Familie vor den Nazis beschwört. Er sei aber auch, so Vergès in einem Rückblick auf ihre Kindheit in der französischen Kolonie Réunion, ein Raum der Entrechtung, Vertreibung und Diskriminierung. Luzide entlarvt der Berliner Architekt Aristide Antonas Athen, die Ikone der Antike und der Demokratie, als eine architektonische Herrschaftsprojektion des Nordens, die die osmanische Provinzhauptstadt ausradierte, heute aber den digitalen Finanzströmen zum Opfer fällt.

Manche Texte dieser „gegen­hegemonialen Bibliothek für die Schlachten von heute“ (Szymczyk) sind ohne erkennbaren Bezug zur Documenta: Paul B. Preciados Geschichte der Sexualität in Europa. Manche winken mit dem Zaunpfahl des Widerstands: Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung hat eine Rede zum Schuldenboykott ausgegraben, die Thomas Sankara, damals Staatschef von Obervolta, 1987 vor der Organisation Afrikanischer Staaten hielt. Linda Nochlins Überlegungen zu Gustave Courbets „Bettelweib“ lassen die ästhetischen Präferenzen der Documenta erahnen. Einen Vorteil hat die Lektüre dieser spannenden Materialsammlung: Man kann an sich selbst studieren, wie sich ein „Lernprozess wie ein Aufstand“ (Audre Lord) entwickelt. Ingo Arend

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