: Leben in der Lageso-Warteschleife
Asyl Rund 15.000 Flüchtlinge warten in Berlin derzeit auf ihre Registrierung. Bis dahin bekommen sie weder Leistungen noch Krankenscheine – was auch für Irrläufe sorgt. In einer Notunterkunft in der Wuhlheide wird die Stimmung immer angespannter
von Hannah Wagner
Amal El Ahmar wirkt unsicher, als sie das Café im Freizeit- und Erholungszentrum in Treptow-Köpenick betritt. Wenige Meter weiter befindet sich die Turnhalle, in der sie untergebracht ist, doch dort ist Presse ohne Voranmeldung nicht erwünscht. Die junge Frau setzt sich leise an den Tisch, reicht schüchtern die Hand zur Begrüßung und guckt dann direkt zu ihrer Dolmetscherin. Vor drei Wochen ist El Ahmar nach ihrer Flucht aus Syrien in Berlin angekommen, ihren richtigen Namen nennen möchte sie nicht. Wortlos schiebt sie einige Ultraschallbilder und einen Arztbrief über den Tisch. „Anämie und Gastroenteritis“ steht auf dem Brief – Blutarmut und Magen-Darm-Entzündung. Die Ultraschallbilder zeigen ihr ungeborenes Kind, die junge Frau ist im sechsten Monat schwanger.
Nach ihrer Ankunft in Berlin wurde El Ahmar am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) vorläufig registriert. Weil sie über Bauchschmerzen klagte, wurde sie in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht. Dort sagte man ihr, sie solle sich zur Geburtsvorbereitung an einen Gynäkologen wenden. Nur: Als vorläufig registrierter Flüchtling hat El Ahmar keinen Krankenschein. Den erhält sie erst nach ihrer endgültigen Registrierung – doch wann die stattfinden wird, ist aufgrund der chaotischen Zustände am Lageso nicht absehbar. Und ohne Krankenschein nimmt sie kein Arzt auf.
Die junge Syrerin ist kein Einzelfall: Rund 15.000 Flüchtlinge warten derzeit in Berlin in Notunterkünften wie der in der Wuhlheide auf ihre Registrierung. Eigentlich sollte das Registrierungsverfahren jedes Flüchtlings innerhalb eines Tages abgeschlossen sein. Weil das Lageso mit den hohen Ankunftszahlen überfordert war, wurde dafür Anfang Oktober eine Zweigstelle in der Bundesallee eröffnet. Jeder Flüchtling wird seitdem in der Lageso-Zentrale in der Turmstraße vorläufig registriert und bekommt dann in der Bundesallee Leistungen, Krankenscheine und Kostenübernahme für die Unterkunft ausgestellt – so weit die Theorie.
Doch in der Realität funktioniert das nicht. Den Angaben des Lageso zufolge bekommen jeden Tag rund 150 Menschen, deren Daten in der Turmstraße aufgenommen wurden, in der Bundesallee keinen sofortigen Termin. Stattdessen werden sie vorübergehend in Notunterkünfte, in der Regel Turnhallen, gebracht.
Die rund 200 Flüchtlinge in der Wuhlheide warten seit über drei Wochen auf ihre Registrierung. Am Anfang seien sie froh gewesen, endlich in Sicherheit zu sein, erzählt Rana Hasan, eine andere junge Syrerin, die ebenfalls in Wirklichkeit anders heißt. Doch je länger sie auf die Registrierung warten, desto schlechter werde die Stimmung in der Unterkunft, so Hasan. Die meisten Bewohner hätten ihr erspartes Geld längst aufgebraucht, viele könnten nicht einmal mehr ihre Kleidung im Waschsalon waschen. „Jeden Tag fragen wir den Betreiber, wann endlich die Busse kommen, die uns zur Registrierungsstelle bringen“, erzählt sie. „Aber er weiß auch nichts. Das ist so frustrierend.“
Tatsächlich teile das Lageso den Betreibern der Notunterkünfte die Ankunft der Shuttle-Busse zur Registrierungsstelle erst 48 Stunden im voraus mit, bestätigt Lageso-Sprecherin Silvia Kostner auf Anfrage der taz. Aus Organisationsgründen sei das nicht früher möglich. Das sei aber auch nicht schlimm: „Das sind zwei ganze Tage“, betont sie. „Mehr braucht man doch nicht, um seine paar Sachen zusammenzupacken.“
Auf eigene Faust
Rana Hasan
Die Flüchtlinge in der Wuhlheide sehen das anders. Sie wollen endlich ein festes Registrierungsdatum genannt bekommen. „Das Schlimmste an unserer Situation ist die Ungewissheit“, berichtet Hasan. Aus Frust sind fast alle Bewohner ihrer Unterkunft vor knapp zwei Wochen geschlossen auf eigene Faust zur Bundesallee gefahren – und wurden von der Polizei wieder weggeschickt. Wenige Tage später traten sie in einen Hungerstreik, doch der endete bereits nach einem Abend wieder. „Wir haben gemerkt, dass das in unserer Unterkunft nicht funktioniert“, erklärt Hasan. Der Betreiber habe sich von der Aktion völlig unbeeindruckt gezeigt.
Der Betreiber, das ist Tilo Krause mit seiner L.I.T.H.U. Management gGmbH. Unter den Flüchtlingen ist Krause nicht besonders beliebt, viele fühlten sich von ihm arrogant behandelt, erzählt Hasan. Außerdem sei das Essen schlecht und das Duschwasser zwischenzeitlich fast eine Woche lang kalt gewesen. Ähnliche Kritik kommt auch von ehrenamtlicher Seite. Die Flüchtlinge bekämen viel zu wenig Obst und Gemüse, immer mehr Menschen seien erkältet, beklagt eine Helferin. „Mitunter duschen die Menschen eine Woche lang nicht, weil kein warmes Wasser da ist. Geputzt wird oft ohne Putzmittel. Wenn da irgendwann eine Seuche ausbricht, wundert mich das nicht.“
Krause hingegen verteidigt die Situation in seiner Unterkunft. Die hygienischen Bedingungen seien mehrfach geprüft und für ausreichend befunden worden. Auch den Vorwurf, er kümmere sich zu wenig um kranke Flüchtlinge, weist er von sich: „Wir können hier nicht wegen jedem Husten einen Krankenwagen rufen.“ In seiner Unterkunft habe er Wegbeschreibungen zu den nächsten Arztpraxen verteilt, so Krause. Alles auch auf Arabisch, betont er. „Die Leute sind also aufgeklärt. Ein bisschen Eigeninitiative müssen sie dann schon zeigen.“
Doch dass Eigeninitiative allein nicht reicht, zeigt der Fall der schwangeren Syrerin El Ahmar: Sie ging nach ihrem Krankenhausaufenthalt zum Lageso, um sich als Härtefall einstufen zu lassen und so schneller an Krankenscheine zu kommen. Im Haus der Caritas wurde El Ahmar wegen Überfüllung weggeschickt. Der Sozialdienst riet ihr, sich mit ihrem Anliegen direkt bei der Registrierungsstelle zu melden. Dort schickte man sie zurück zur Caritas. Bis heute war Amal El Ahmar noch nicht bei einem Arzt.
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