: Wenn sich Kinder entfremden
Beratung Das Bremer Projekt Kitab berät Angehörige von Jugendlichen, die sich radikalisiert haben. Eltern schwanken zwischen Hilflosigkeit und Wut
Wenn sich Jugendliche radikalisieren und im schlimmsten Fall in den Heiligen Krieg ziehen, fühlen sich Eltern, Geschwister und Freunde hilflos und wütend. „Sie haben das Gefühl, dass sich das Kind von ihnen entfremdet“, sagt Stephanie Grafe von der Beratungsstelle Kitab in Bremen. Die Psychologin berät Angehörige in ganz Norddeutschland.
Es müsse nicht immer problematisch sein, wenn sich ein Kind zur Religion hingezogen fühlt, sagt Grafe. Wenn Jugendliche, egal ob Jungen oder Mädchen, jedoch in radikale Gruppen abrutschten, sei es wichtig, die Beziehung außerhalb des salafistischen Umfeldes zu stärken, und das ist eben oft die Familie.
Seit 2012 gibt es die Beratungsstelle in Bremen, anfangs war sie die einzige unabhängige Stelle für Angehörige in ganz Norddeutschland. Auch jetzt gibt es noch Wartezeiten, obwohl Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg mittlerweile eigene Angebote geschaffen haben. Die Bremer Beratungsstelle wird aus Bundesmitteln finanziert und hat nur zwei halbe Stellen. Sie seien „vollkommen überarbeitet“, sagt Grafe.
Ausreise nach Syrien
Die Beratungen bei Kitab sind kostenlos und anonym. Geht es allerdings um „sicherheitsrelevante Aspekte“ wie die Ausreise eines Jugendlichen, melden die Berater dies den Behörden. Aus Bremen reisten seit Januar 2014 laut Innenbehörde 22 Erwachsene und Jugendliche mit elf Kindern in Richtung Syrien oder Irak aus, in Hamburg waren es laut dortiger Innenbehörde 65 Personen, Niedersachsen spricht von 64 ausgereisten Salafisten.
Derzeit suchten viele Lehrer gefährdeter Jugendlicher Rat bei Kitab, sagt Grafe. Ein Drittel der Betroffenen seien Konvertiten mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. „Den einen Jugendlichen, der sich radikalisieren lässt“, gebe es zwar nicht, allerdings sei der Salafismus eine „sehr attraktive Bewältigungsstrategie für Probleme“.
Wenn sie erst einmal in der radikalen Szene angekommen seien, entfremdeten sich die Jugendlichen oft von ihrem Umfeld, sagt die Psychologin. Der erste Schritt müsse es darum sein, wieder einen Zugang zum Kind zu bekommen.
In 150 Fällen wurde die Beratungsstelle bisher konsultiert, in vielen war ihre Arbeit erfolgreich, sagt Grafe: „Wir bewegen etwas.“ rea
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